Die Standort-Sklerose ist nicht geheilt

Die Diagnose könnte kaum düsterer ausfallen: „Die Standort-Sklerose ist nicht geheilt, die Lage nach wie vor sehr kritisch“, erklärte NORDMETALL-Präsident Folkmar Ukena bei der Vorstellung der Herbst-Konjunkturumfrage 2025 der norddeutschen Arbeitgeberverbände. Seine Worte spiegeln die ernüchternde Stimmung in einer Industrie, die sich seit Jahren im Krisenmodus befindet.

„Wir gehen ins vierte Rezessionsjahr, und die Hoffnung auf ein Ende der Krise ist sehr schwach – nicht nur wegen der volatilen internationalen Situation, sondern auch wegen der unverändert schlechten nationalen Rahmenbedingungen“, so Ukena weiter. Entsprechend vorsichtig fallen die Erwartungen der Unternehmen aus: Nur 17 Prozent der norddeutschen Betriebe rechnen in den kommenden sechs Monaten mit einer besseren Geschäftslage; im Frühjahr waren es noch 21 Prozent. 60 Prozent erwarten eine stabile Entwicklung, 23 Prozent eine Verschlechterung. Besonders skeptisch sind die Unternehmen in Schleswig-Holstein, wo 28 Prozent von einer negativen Entwicklung ausgehen, während es in Mecklenburg-Vorpommern lediglich 14 Prozent sind.

Anhaltend schlechte Geschäftslage

Der Auftragsmangel bleibt das beherrschende Thema – und erreicht mit 40 Prozent den höchsten Wert seit der Coronakrise Anfang 2021. Besonders der Straßenfahrzeugbau sowie Metallerzeuger und Gießereien sind betroffen: Jeweils 80 Prozent dieser Unternehmen melden zu geringe Aufträge. Im Maschinenbau sind es 52 Prozent. Ein Lichtblick bleibt der Schiffbau, der seine Auftragslage zu 44 Prozent als „relativ hoch“ und zu 56 Prozent als „ausreichend“ bewertet. Insgesamt haben sich bis Oktober 141 Mitgliedsbetriebe mit rund 84.000 Beschäftigten an der Umfrage von NORDMETALL, AGV NORD sowie den Arbeitgeberverbänden in Bremen, Oldenburg und Ostfriesland beteiligt. Jeder dritte Betrieb beschreibt seine Geschäftslage als schlecht oder unbefriedigend. Der Anteil der Zufriedeneren ist gegenüber dem Frühjahr nochmals um ein Prozent gesunken. Lediglich im Schiffbau sowie im Luft- und Raumfahrzeugbau wird die Situation überwiegend als „gut“ oder „befriedigend“ eingeschätzt. Am anderen Ende stehen Straßenfahrzeugbau, Metallerzeuger und Gießereien, von denen vier von fünf Betrieben eine „unbefriedigende“ oder „schlechte“ Lage melden. Im Maschinenbau sind es 47 Prozent. Regional zeigen sich deutliche Unterschiede: Im nordwestlichen Niedersachsen bewerten 63 Prozent der Firmen die Situation negativ, während 90 Prozent der Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern die Lage als „gut“ oder „befriedigend“ einschätzen.

Nicht auffangbare Kostensteigerungen

Steigende Kosten setzen die Unternehmen zusätzlich unter Druck. 37 Prozent gelang es zuletzt nicht, die Belastungen über höhere Preise auszugleichen – elf Prozentpunkte mehr als im Frühjahr. Besonders betroffen sind vier von fünf Metallerzeugern und Gießereien sowie sechs von zehn Straßenfahrzeugbauern. Auch im Luft- und Raumfahrzeugbau berichten 57 Prozent der Unternehmen von nicht kompensierbaren Kosten.

Fachkräftemangel nimmt ab

Parallel gerät die Beschäftigung unter stärkeren Druck: 28 Prozent der Unternehmen planen in den kommenden drei Monaten Personalabbau; im Frühjahr waren es noch 17 Prozent gewesen. 51 Prozent gehen von unveränderten Beschäftigtenzahlen aus, 21 Prozent planen Neueinstellungen. Die größten Einschnitte drohen im Straßenfahrzeugbau sowie in der Metallerzeugung und bei den Gießereien, wo jeweils sechs von zehn Betrieben Stellen streichen wollen. Im Maschinenbau erwägt ein gutes Drittel der Firmen Abbau, während im Luft- und Raumfahrzeugbau jeder zweite Betrieb neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen möchte. Unter dem Strich ergibt sich damit kaum noch ein nennenswerter Einstellungsbedarf.

Auch wenn viele Unternehmen unter Druck stehen: Der Fachkräftemangel hat sich leicht entspannt. 51 Prozent melden weiterhin eine schlechte oder unbefriedigende Verfügbarkeit von Fachkräften – sieben Prozent weniger als im Frühjahr. In Mecklenburg-Vorpommern beklagen 65 Prozent der Betriebe Engpässe, in Schleswig-Holstein sind es 42 Prozent. Bei den Auszubildenden sehen 49 Prozent der Betriebe eine gute oder zufriedenstellende Bewerberlage; im nordwestlichen Niedersachsen trifft das nur auf 36 Prozent zu.

Gleichzeitig sinkt die Standortzufriedenheit: 52 Prozent der Unternehmen bewerten die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland als schlechter als noch vor sechs Monaten (Frühjahr: 49 Prozent). Jeder vierte Betrieb plant inzwischen Produktionsverlagerungen ins Ausland – ein neuer Höchstwert seit Beginn der Erhebungen 2008 (Frühjahr: 21 Prozent). Besonders häufig kommen solche Überlegungen im Maschinenbau sowie im Luft- und Raumfahrzeugbau vor, wo rund zwei Drittel der Unternehmen entsprechende Pläne verfolgen. Als größte Belastungsfaktoren gelten Arbeitskosten (83 Prozent), Bürokratie (66 Prozent), Energiekosten (60 Prozent) und internationale Politik (59 Prozent).

Industriestandort schützen

Für NORDMETALL-Präsident Folkmar Ukena bleibt die Lage alarmierend: „Die Lage der norddeutschen Industrie ist weiterhin schlecht. Insbesondere unter Metallerzeugern und Gießereien, aber auch im Maschinenbau stellt sich immer öfter die Existenz- und Standortfrage. Selbst die Werften und Luft- sowie Raumfahrzeugbauer mit vollen Auftragsbüchern können dem Kostendruck und den schlechten Rahmenbedingungen kaum noch standhalten: Noch nie planten so viele Betriebe der norddeutschen Metall- und Elektroindustrie Produktionsverlagerungen ins Ausland wie heute. Die wichtigsten Stellschrauben hat die Politik selbst in der Hand: Wenn die Bundesregierung nicht rasch für niedrigere Energiepreise mit ausreichenden Netzwerkkapazitäten, beherrschbare Arbeitskosten durch reformierte Sozialversicherungen, eine Reduktion der Unternehmenssteuern, bessere Bildung und massiven Bürokratieabbau mit geringerer Regelungsdichte sorgt, wird das die Abwanderung vieler Produktionsstätten ins Ausland weiter befördern. Das wollen wir M+E-Arbeitgeber im Norden verhindern. Deshalb appelliere ich an die Bundesregierung: Handeln Sie schnell, um den Industriestandort zu schützen.“

Foto: istockphoto (urfinguss)

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