Unter Zeitdruck Zahlencodes knacken, Perspektivrätsel lösen und einen Roboter durch ein Labyrinth schleusen – der Schüler Jonas Lars Henningsen ist mit Feuereifer dabei. Nach einem Praktikum bei thyssenkrupp Marine Systems, kurz tkMS, hat sich der 18-Jährige für die Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker Fachrichtung Schweißtechnik entschieden, den Bewerbungstest erfolgreich absolviert und eine positive Rückmeldung erhalten. Fehlt nur noch der Bewerbertag, für den sich der Schleswig-Holsteiner gut gewappnet sieht: „Ich bin noch nicht fest drin, aber ich habe gute Chancen“, weiß er.
Überrascht ist Jonas, als er zusammen mit vier anderen Bewerbern in ein mit Kameras gespicktes Zelt geführt wird, Warnweste, Sicherheitshandschuhe und Schutzbrille anlegen und in ein maritimes Szenario abtauchen soll: Eine Leckage droht ein Boot zu versenken. Auf dem Weg zur rettenden Abdichtung warten jede Menge Aufgaben auf die Kandidaten. tkMS veranstaltet an seinem Bewerbertag ein Escape Game. Entwickelt wurde es für NORDCHANCE Discover, ein Projekt des Arbeitgeberverbandes NORDMETALL.
„Damit hätte ich auf einem Bewerbertag nicht gerechnet, das ist ziemlich kreativ und cool“, lobt Jonas. Wasserdampf, Sirenen und Dunkelheit runden das Szenario ab und schnell ist klar, nur ein gutes Team kommt innerhalb von 60 Minuten zum Ziel.
Pilotphase erfolgreich abgeschlossen
Werden spieltypische Inhalte wie in einem Escape Room in einen spielfremden Kontext wie die Berufsorientierung oder gar die Bewerberauswahl gestellt, spricht man von Gamification. „Ein Ansatz, der bei den Jugendlichen gut funktioniert“, sagt Mathias Engel von NORDMETALL. Der Referent für Ausbildung und Studium betreut für den Verband das Projekt NORDCHANCE. Es will mehr technisch interessierte Jugendliche in die Ausbildung bringen und wurde erstmalig im vergangenen Jahr in Schleswig-Holstein getestet: Jugendliche stellen in einem geschützten Raum handwerkliche, logische und kommunikative Fähigkeiten unter Beweis und können dabei von Lehrkräften und potenziellen Ausbildern über Kameras beobachtet werden. „Aber das vergessen die Jugendlichen, weil sie sich total auf die Aufgaben konzentrieren“, weiß Engel.
von erfahrenen MINT-Expertinnen und -Experten.
Entwickelt wurde das Konzept von der Technischen Akademie Nord und hat außer sechs Schulen bereits in der Pilotierung NORDMETALL-Mitglieder überzeugt: so Jungheinrich, die EDUR-Pumpenfabrik, Getriebebau NORD – und dauerhaft tkMS. „Das ist nicht 08/15 – und das kommt auch bei unseren Führungskräften gut an“, sagt Cem Selvi. Für den tkMS-Ausbildungsleiter wirkt das Escape Game in mehrere Richtungen: „Wir rekrutieren für uns Nachwuchskräfte und motivieren damit unsere Mitarbeiter.“ Dazu komme die Außenwirkung durch Bewerbertage, wo viele junge Leute die Werft besuchten und Interesse an einer Ausbildung signalisierten. Anschließend sollten selbst diejenigen, die leer ausgingen, eine Botschaft mitnehmen und in ihrem Freundeskreis weitertragen: „Die haben mich leider nicht genommen, aber es war ein geiler Tag“, formuliert es Selvi.
Die maritime Thematik hat die Technische Akademie Nord wunschgemäß angepasst und damit aus NORDCHANCE Discover das Escape Game „Hafenalarm“ gemacht. Ein Pilotprojekt, das Aufgaben aus der E-Technik, IT und Metallverarbeitung verbindet: „Man muss den Widerstand als Zahlencode eingeben, einen Roboter programmieren, sägen und räumlich denken können“, so der „Leiter Young Talents“, der die moderne Form der Berufsorientierung gern dauerhaft auf der Kieler Werft verankern möchte. „Mein Wunsch ist es, so etwas selbst zu etablieren, vielleicht in Kooperation mit NORDMETALL“, sagt Selvi. „Hafenalarm“ habe nicht nur Ausbilder und Lehrkräfte überzeugt, sondern auch Personalentwickler, die es für Teamevents nutzen möchten. Von dual Studierenden und Azubis ganz zu schweigen.
Kontakt aufbauen und Interesse wecken, darum geht es in der MINT-Bildung. Das spürt man auch im Schülerforschungszentrum Hamburg (SFZ). Hier wird jungen Forscherinnen und Forschern vom Chemielabor bis zur Technikwerkstatt zusätzlich zu einer hochwertigen Ausstattung professionelle Unterstützung geboten. Das Schülerforschungszentrum schafft für Kinder und Jugendliche einen professionellen Rahmen, um sich über den Unterricht hinaus forschend und kreativ mit MINT auseinanderzusetzen. „Unser Fokus in der NORDMETALL-Stiftung liegt auf der Förderung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Wir möchten mehr Lehrkräfte an das SFZ bringen. Auch im Bereich der MINT-Berufsorientierung hält der Lernort verschiedene Möglichkeiten bereit und kann unterstützend wirken“, sagt Jannike Bohlen, Projektkoordinatorin Bildung und Wissenschaft. Über die Lehrkräfte soll sich auch der Bekanntheitsgrad der Einrichtung erhöhen. Bislang ist das SFZ jedoch zu wenigen Jugendlichen bekannt. „Wir wollen das Angebot erweitern“, sagt Antje Schmedemann, Referentin der Geschäftsführung. „Daher bieten wir Kurse innerhalb der Schulzeit an und verstärken das Programm in den Ferien.“
„MINT trifft Industrie“ geht an den Start
Die langjährige Chemielehrerin ist mittlerweile im MINT-Referat der Schulbehörde beschäftigt und bildet die Brücke zwischen SFZ und Schulen. Sie nennt als Pilotprojekt eine Kooperation mit der sechszügigen Grundschule Rellinger Weg: Von den Fachlehrkräften empfohlene MINT-affine Fünft- und Sechstklässler wurden in den „Kids Science Club“ eingeladen, wo die Kinder inzwischen einmal wöchentlich angeleitet experimentieren: „Roboter aus Bausteinen entwerfen, Kosmetika herstellen oder Gewässer untersuchen – das sind niedrigschwellige Angebote und sie bilden die gesamte MINT-Palette ab“, so Schmedemann. Wer das SFZ so jung kennenlernt, werde auch leichter für weitere Projekte gewonnen. Der nächste Schritt sei somit auf den Weg gebracht: „Sich ein Thema zu suchen, an dem man eigenständig forscht.“ Ein weiterer Ansatz, der helfen soll und an dem NORDMETALL und NORDMETALL- Stiftung mitgewirkt haben, heißt „MINT trifft Industrie“. Federführend in dem Projekt sind zusätzlich zum SFZ die Still GmbH und die NORDAKADEMIE.
Drei bis vier Unternehmen stellen ihre MINT-Berufe vor und bringen Forschungsfragen ein, die an ihrem Standort relevant sind. In Praxisphasen kommen die Unternehmen mit den Jugendlichen in den Austausch. „So wird Interesse für MINT-Berufsbilder geweckt und eine Bindung zwischen Nachwuchs und Betrieb entwickelt“, sagt Imke Kuhlmann, Referentin für Nachwuchsgewinnung bei NORDMETALL.
Praxisphasen und insbesondere Teamwork, bei dem jeder einbringt, was er oder sie besonders gut kann, sind im betrieblichen Alltag besonders effizient. Das hat auch das Bewerberteam um Jonas Henningsen gemerkt: „Der Schiffbauer hat sich um die Truhe gekümmert, der Elektroniker um den Roboter und ich als Schweißer habe schnell den Schlüssel aus dem Metallstück gesägt“, erzählt er. Seine Wortwahl macht deutlich, dass die Identifikation mit der „Hafenalarm“-Challenge gelungen ist. Für den angehenden Schweißer gab es zwar noch eine klassische Gesprächsrunde, Fragen zur Person und den Erwartungen, aber eigentlich war die Sache nach dem erfolgreichen Umgang mit „Hafenalarm“ geritzt: „Ich fange zum ersten September an“, sagt Jonas. Vielleicht ja auch noch der eine oder andere Mitbewerber: Insgesamt konnten über das Escape Game schon vierzehn duale Studienplätze und drei Ausbildungsstellen besetzt werden.
Fotos: Christian Augustin, Claudia Höhne, Jann Wilken, Hauke Gilbert