Fachgespräch mit Falko Droßmann

Unser Experte diesmal: SPD-Verteidigungspolitiker Falko Droßmann MdB (51), der die aktuellen Fragen der Sicherheitspolitik diskutiert. Wie viel deutsche Führung braucht es für eine stärkere europäische Verteidigung? Wie lässt sich die Ertüchtigung der Bundeswehr schneller umsetzen?

Falko Droßmann … ist Oberstleutnant der Luftwaffe der Bundeswehr. Zuletzt war der 51-jährige studierte Historiker an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg als Studienfachbereichsleiter eingesetzt. 2016 wurde der Sozialdemokrat zum Leiter des Bezirksamts Hamburg-Mitte gewählt. Seit 2021 hält er als direkt gewählter Abgeordneter den Wahlkreis Hamburg-Mitte für die SPD. Ende 2024 und erneut in diesem Frühjahr bestimmte ihn die SPD-Bundestagsfraktion zu ihrem verteidigungspolitischen Sprecher.

Standpunkte: Was bedeutet die Übernahme nationaler Verantwortung in einer Zeit, in der die Sicherheitsarchitektur Europas wankt? Was ist nötig, damit Industrie, Politik und Gesellschaft gemeinsam handlungsfähig werden?

Falko Droßmann MdB: Zunächst einmal merke ich deutlich, wie sich die öffentliche Wahrnehmung in Deutschland verändert hat. In meinem Wahlkreis in Hamburg-Mitte wurde man früher schief angeschaut, wenn man für Verteidigungsausgaben eintrat. Heute verstehen die Menschen, dass eine verteidigungsfähige Bundeswehr die Grundlage für unsere Souveränität ist. Aber wir müssen jetzt liefern: mit Entscheidungsfreude, mit Geschwindigkeit – und mit Mut. Das bedeutet auch, dass wir uns mit konsumtiven Ausgaben wie Munition ehrlich auseinandersetzen. Sie wird gebraucht, ist aber nach wenigen Jahren veraltet. Und trotzdem ist sie essenziell. Wir dürfen nicht nur über Investitionen reden, sondern müssen auch das Notwendige bereitstellen.

Standpunkte: Lässt sich denn die industrielle Realität mit den politischen Ansprüchen synchronisieren – lange Jahre sah das ja noch nicht so aus?

Droßmann: Die Rüstungswirtschaft hat häufig beklagt, dass sie sich nicht auf Ausschreibungen verlassen können – oder Investitionen platzen, weil sich politische Rahmenbedingungen ändern. Da muss eine neue Verlässlichkeit her: Pacta sunt servanda – Verträge müssen gelten. Sonst sind langfristige Skalierungen nicht möglich. Das gilt auch für die industrielle Resilienz – und auch eine Selbstverpflichtung der Branche, Prozesse belastbar zu machen

Standpunkte: Welche Rolle spielen hier die langsam mahlenden Mühlen der Behörden?

Droßmann: Wir müssen das Zusammenspiel mit der Verwaltung verbessern. Es kann nicht sein, dass jedes Genehmigungsverfahren zum Kraftakt wird. Ein Ingenieur in einem Amt ist heute ein rares Gut. Wir überfordern diese Strukturen mit immer neuen Aufgaben. Ich werbe dafür, dass Unternehmen frühzeitig mit Politik und Verwaltung sprechen – und nicht erst die Anwälte schicken, wie ich es in meiner früheren Funktion als Bezirksamtsleiter in Hamburg-Mitte häufig erlebt habe. Dieses „Verrechtlichen“ von allem und jedem bringt uns nicht weiter. Wir müssen zurück zu einem gemeinsamen Verständnis für öffentliche Interessen.

Standpunkte: Was bedeutet für Sie Führung in diesem Zusammenhang, sowohl im persönlichen wie auch im politischen Sinn?

„Wir brauchen eine verteidigungsfähige Republik, keine neuen Defensivpapiere älterer Herren mit pazifistischem Geist – das sage ich auch an die Adresse meiner eigenen Partei.“

– Falko Droßmann

Droßmann: Führung heißt: Verantwortung übernehmen, auch wenn es unbequem ist. Das habe ich als Offizier gelernt und das sollte auch für die Politik oder für die Verantwortlichen in der Industrie gelten. Wir müssen in Europa nicht nur reagieren, sondern gestalten. Deutschland hat Know-how, wirtschaftliche Stärke, Innovationskraft – wir sollten selbstbewusster auftreten. Dazu gehört auch, Verteidigung als Bestandteil einer nachhaltigen Entwicklung zu begreifen. Ohne Sicherheit keine Nachhaltigkeit. Punkt.

Standpunkte: Wie steht es denn mit der Verantwortungsübernahme bei umstrittenen Entscheidungen?

Droßmann: Führung heißt auch, Entscheidungen zu treffen, die nicht jedem gefallen. Das gilt für Genehmigungen genauso wie für internationale Kooperationen. Und es heißt, dass der Bund manchmal Dinge durchsetzen muss, die vor Ort auf Widerstand stoßen. Ein Kommunalparlament darf in diesen Zeiten am Ende nicht die Ansiedlung eines Rüstungsunternehmens blockieren. Und natürlich müssen wir im vierten Jahr des Überfallkrieges Russlands gegen die Ukraine Rüstungsgüter durch den Hamburger Hafen transportieren, egal, was die Hamburgische Bürgerschaft dazu vor längerer Zeit beschlossen hat. Das ist keine Arroganz, das ist Führungsverantwortung. Und ich wünsche mir, dass wir wieder dahin kommen, dass Streit über Wege erlaubt ist – aber das Ziel klar bleibt

Standpunkte: Führende Sicherheitsexperten und Militärs warnen vor dem russischen Imperialismus und fordern eine Ertüchtigung der Bundeswehr bis spätestens zum Ende des Jahrzehnts. Was muss also in den kommenden Jahren passieren?

Droßmann: Wir brauchen eine verteidigungsfähige Republik, keine neuen Defensivpapiere älterer Herren mit pazifistischem Geist – das sage ich auch an die Adresse meiner eigenen Partei. Dazu gehört eine resiliente Industrie und eine Bundeswehr, die gesellschaftlich wieder im Zentrum steht. Dazu gehört Sichtbarkeit, wie wir sie jetzt am Veteranentag Mitte Juni zum Beispiel mit der feierlichen Ernennung von mehr als 400 Soldatinnen und Soldaten zu Offizieren auf dem Rathausmarkt erlebt haben. Aber wir sollten aufhören, über Wehrpflicht zu diskutieren, wenn wir weder Kasernen noch Ausbilder dafür haben. Die Herausforderungen liegen heute in der Cyberabwehr, bei der KI, bei multinationaler Interoperabilität. Die Zeiten der 1980er-Jahre sind vorbei. Und wir müssen wieder lernen, mit Sprache achtsam umzugehen. Wenn wir über Krieg reden, dann nicht in Floskeln. Unsere Soldatinnen und Soldaten tragen eine enorme Last – sie verdienen Respekt, keine Bagatellisierung. In den USA hört man gegenüber Soldatinnen und Soldaten überall den Satz: „Thank you for your service.“ In Deutschland ist das noch selten. Es geht nicht um Pathos, sondern um Anerkennung. Die Bundeswehr muss wieder sichtbarer und selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft sein. Und: Wir müssen auch über ESG (Environmental, Social, Governance, d. Red.) reden. Verteidigung ist die Grundvoraussetzung jeder Form von Nachhaltigkeit. Wenn die derzeitigen ESG-Kriterien dazu führen, dass Banken sich aus der Finanzierung der Verteidigungsindustrie zurückziehen, dann hat das mit Verantwortung nichts zu tun. Dann verkennen wir, dass Sicherheit die Grundlage von allem ist.

Standpunkte: Die von Ihnen aufgezeigten Veränderungen dürften aber noch eine längere Zeit brauchen, bis sie wirken?

Droßmann: Wir stehen am Anfang eines langen Weges. Diesen Weg müssen wir gemeinsam gehen – als strategische Allianz zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Mit System, mit Stolz, mit Realismus. Und mit dem Willen, aus dieser Zeitenwende eine dauerhafte Verteidigungsfähigkeit für Deutschland und Europa zu machen. Politik, Gesellschaft und Industrie müssen sich wieder mehr zuhören. Vertrauen entsteht durch Dialog – und durch gemeinsame Verantwortung. Wir müssen uns gegenseitig verstehen wollen. Und das geht nur, wenn wir aus den Filterblasen rauskommen.

Fotos: Jannik Bartosch; Norbert Gaßner/www-fotos-byopi.de