Hightech von der Ostseeküste

Die Firma ml&s entstand aus einem „Volkseigenen Betrieb“ und hat sich in kurzer Zeit zu einem erfolgreichen Global Player entwickelt.

Als die „Ostsee-Zeitung“ 2023 die „Job-Giganten von Greifswald“ auflistete, tauchte ein Unternehmen ganz weit vorne auf: die ml&s manufacturing, logistics and services GmbH & Co. KG, deren Mitarbeiterzahl von der Redaktion mit 630 angegeben wurde. Ganz korrekt war das allerdings nicht, denn der Betrieb hat tatsächlich noch einige Beschäftigte mehr – wenn auch vierbeinige ohne festen Arbeitsvertrag. Es handelt sich um Schafe, die dafür sorgen, dass das Gras des Solarparks hinter dem Firmengebäude immer schön kurzgehalten wird.

Für das dreiköpfige Geschäftsführungsteam, bestehend aus Janett Mechel, Detlef Riedel und Mitinhaber Bernd Odoj, ist die Photovoltaik-Installation mit rund 3.000 Modulen kein imageträchtiger Öko-Gag, sondern ein ökonomisch höchst sinnvolles Investment und eine echte Herzensangelegenheit. „Die Anlage leistet ungefähr 750 Kilowatt“, so Bernd Odoj, „und beschert uns an vielen Tagen eine Autarkiequote von 100 Prozent. Dieser Meilenstein wurde bereits im März 2025 erstmals vollständig erreicht – und das bei laufendem Betrieb.“ Der Strombedarf des Unternehmens und seiner Mieter wurde also vollständig durch die Solarmodule gedeckt – ein Wettbewerbsvorteil angesichts der hohen Energiepreise in Deutschland. Odoj: „So sieht nachhaltiger Fortschritt aus, und wir sind stolz auf das, was wir gemeinsam geschafft haben.“

Erfahrene Fachkräfte wie Heike Reinholz (links) werden bei ml&s ebenso geschätzt wie die vollautomatischen Produktionsschritte (rechts).

Es begann 1969 mit Schiffselektronik

Der 55-jährige Wirtschaftsingenieur hat allen Grund, stolz auf das Erreichte zu sein, denn er und seine Kollegen haben Beachtliches geleistet. Ihr Unternehmen, Mitte 1969 im Westen der Hansestadt auf der grünen Wiese gegründet, hat in den fünfeinhalb Jahrzehnten seines Bestehens eine mehrstufige Transformation durchlaufen, die aus dem ehemals „Volkseigenen Betrieb“ (VEB) einen international erfolgreichen Elektronikspezialisten machte. Nachdem man es anfangs noch mit Schiffselektronik versucht hatte, wurde der Betrieb 1971 in „VEB Nachrichtenelektronik Greifswald“ umbenannt und in das „Kombinat Nachrichtenelektronik“ aufgenommen. Hier entwickelten und fertigten bis 1991 in Spitzenzeiten rund 2.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Telekommunikationstechnik und Schiffselektronik.

Fun Fact am Rande: Die Gründung hatte, wie Bernd Odoj berichtet, eng mit dem Greifswalder Atomkraftwerk Lubmin zu tun, wo seinerzeit einige tausend überwiegend männliche Fachkräfte beschäftigt waren. Daher kam die Idee auf, für die Ehefrauen der AKW-Mitarbeiter eine Arbeitsmöglichkeit in der Region zu schaffen. Das war die Geburtsstunde des Unternehmens.

1991 übernahm der Siemens-Konzern den Betrieb und führte den Telekommunikationsbereich als Siemens Übertragungssysteme Greifswald GmbH fort. In dieser Phase gab es eine Menge zu tun, denn nach der Wende erlebte die Elektronikbranche einen ungeahnten Boom im wiedervereinigten Deutschland. Vor allem die sogenannten NTBA-Dosen wurden gebraucht, denn sie waren ein wichtiges Element für das ISDN-Netz. „Wir waren in der Zeit der weltgrößte NTBA-Hersteller und lieferten in mehr als 60 Länder“, erinnert sich Bernd Odoj. „Die Fertigung lief rund um die Uhr.“ Aber kein Boom hält ewig, irgendwann war der Bedarf weitgehend gedeckt, und Siemens beschloss das Aus der Fertigung am Standort Greifswald, der damals rund 330 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigte. Sie alle hätten ihren Job verloren, wäre der Betrieb wie geplant abgewickelt worden.

Bernd Odoj, geschäftsführender Gesellschafter

„Wir sind stolz auf das, was wir gemeinsam geschafft haben.“


Die elektronischen Elemente für die Platinen werden auf Bänderrollen angeliefert. 
Die smarte Produktion benötigt eine sorgfältige Vorbereitung des Materials.

Dass es anders kam, ist einem modifizierten Management-Buy-out-Konzept zu verdanken, bei dem Siemens noch einige Zeit Mitgesellschafter der neugegründeten Firma ml&s blieb. Entwickelt wurde das Konzept vom damaligen Werkleiter Udo Possin, gemeinsam mit Bernd Odoj und dem Greifswalder Managementteam. Auch die Finanzierung war bald gesichert. So konnten Possin und Odoj mit weiteren Mitstreitern den Standort übernehmen.

Im Herbst 2002 war es so weit, die frischgebackenen Unternehmer konnten ihre Firma ml&s ins Handelsregister eintragen. Ein smarter Move, denn unter der neuen Leitung ging es gleich bergauf. „Wir haben sehr schnell schwarze Zahlen geschrieben“, berichtet Odoj, „und konnten die Belegschaft binnen weniger Jahre verdoppeln.“ Seine Kollegin Janett Mechel, die 2021 in die Geschäftsführung aufstieg, nickt. „In der Anfangszeit hatte die Firma rund 250 Beschäftigte“, erzählt sie. „Heute sind es 530 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, außerdem haben wir im Schnitt 25 Auszubildende.“

Janett Mechel, Geschäftsführerin

„2002 hatte ml&s 250 Mitarbeiter, nun sind es 530.“

2.000 Artikel aus eigener Produktion

Aus dem Unternehmen selbst ist ein Komplett-Dienstleister für die Elektronik-Branche geworden – von der Leiterplattenbestückung bis hin zur Fertigung, Konfiguration und Montage komplexer Systeme. Der Betrieb fertigt Flachbaugruppen, komplexe Systeme, Geräte und Schaltschränke. „Wir haben rund 20.000 Artikel im Angebot“, bilanziert Odoj, „und etwa 2.000 davon stammen aus unserer eigenen Produktion. Unser Ansatz ist: Wir unterstützen den Kunden von der Wiege bis zur Bahre. Das beinhaltet auch eine flexible Einbindung in die Lieferketten der Geschäftspartner.“ Für diese Dienstleistungen wurde im Jahr 2009 ein großes Logistikzentrum gebaut, das eine Fläche von 4.000 Quadratmetern und eine Kapazität von fast 10.000 Europaletten hat. Das Investitionsvolumen lag bei 4,5 Millionen Euro.

Die Kunden von ml&s kommen überwiegend aus Industrie, Energie und Automotive. Einer von ihnen ist die ehemalige Konzernmutter Siemens, die immer noch einen guten Draht nach Greifswald hat und die hohe Qualität der dort gefertigten Produkte zu schätzen weiß. Zudem sind auf der Kundenliste bekannte Unternehmen wie Viessmann, Otis, Continental und Enercon zu finden. Und auch die Deutsche Bahn ist mit Hightech von der Ostseeküste unterwegs, wie Odoj verrät. Denn eines der neueren ICE-Modelle ist mit speziellen Mobilfunk-Repeatern von ml&s ausgestattet, die dafür sorgen, dass die Fahrgäste auch bei mehr als 200 Stundenkilometern im Zug guten Empfang haben.

Detlef Riedel, Geschäftsführer

„Wir haben im Schnitt zehn bis 20 Prozent Umsatzwachstum pro Jahr.“

22 Nationen im Betrieb vertreten

Möglich sind diese Erfolge nur, weil die Personalpolitik im Unternehmen traditionell einen hohen Stellenwert hat. Janett Mechel: „Wir bilden in verschiedenen Bereichen aus und tun eine Menge dafür, dass die Beschäftigten sich wohlfühlen. Wer bei uns anfängt, wird sofort gut integriert und bekommt die Chance, sich entsprechend seiner Fähigkeiten weiterzuentwickeln.“ Die studierte Maschinenbauerin ist ein gutes Beispiel dafür. Sie fing 2005 als Praktikantin in dem Unternehmen an, wurde 2012 Abteilungsleiterin der Technologie, 2015 Produktionsleiterin und sechs Jahre später Geschäftsführerin.

Zur HR-Arbeit des Unternehmens gehören auch Sprachkurse für die Kollegen, die aus dem Ausland stammen. Bernd Odoj: „Wir haben kürzlich noch mal nachgezählt – in unserer Belegschaft sind insgesamt 22 Nationen vertreten. Daher sind wir mit dem Thema Integration bestens vertraut. Ich glaube, unser Betriebsklima ist wirklich gut.“ Zahlen aus dem HR-Bereich bestätigen diese Einschätzung. Zum einen ist die Fluktuation vergleichsweise niedrig, zum anderen gibt es zahlreiche Beschäftigte, die auch im höheren Alter noch für ml&s tätig sind.

Janett Mechel: „Wir haben derzeit etwa 20 Silver Worker, also Kollegen, die aus freien Stücken weiterarbeiten, obwohl sie das offizielle Rentenalter schon erreicht haben.“ Einer ist sogar schon Mitte 70 und kommt immer noch.

Leiterplatten werden mit diversen Elementen bestückt.
Schichtleiter Daniel Klemckow prüft das Ergebnis.
Events wie gemeinsame Drachenbootrennen schweißen die Beschäftigten zusammen.

Fotos: ml&s; Christian Augustin

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