Smarte Anwendungen, großes Potenzial

Machbar ist vieles mit Künstlicher Intelligenz, gemacht wird wenig, zumindest im Personalwesen, und das hängt mit dem Schutz personenbezogener Daten zusammen. Dennoch stellt sich die Metall- und Elektroindustrie dem Trendthema – und rüstet sich damit für die Zukunft.

Der Elektriker auf Wechselschicht ist gefragt. Für diese Erkenntnis braucht man keine Künstliche Intelligenz (KI), aber sie kann helfen, das Jobangebot besser an den Mann – oder die Frau zu bringen. Die Chance allerdings, eine Elektrikerin für den Schichtdienst zu finden, geht mit oder ohne KI gegen null. Das zeigen Marktdaten, etwa der Bundesagentur für Arbeit, auf die wiederum intelligente Programme zugreifen. So das kostenpflichtige Recruiting-Tool „Jobspreader“, das Phillip Vojinovic auf seinem Rechner geöffnet hat. Der Leiter für die Personalbeschaffung und das Employer Branding beim Aluminiumrecycler Speira will mithilfe der Technologie Jobangebote auf der Speira-Karriereseite und auf Social-Media-Portalen leichter auffindbar machen.

Zunächst ruft der Personaler dafür einen automatisiert zusammengestellten Fachkräfteindex auf. „Der Elektriker (m/w/d) auf Wechselschicht leidet unter Fachkräftemangel und hat eine hohe Vakanzzeit: 239 Tage“, ist da zu lesen. So viel Zeit hat das Unternehmen nicht. Daher lässt sich Vojinovic im zweiten Schritt alternative Titel mit mehr Schlagkraft vorschlagen und die Jobbeschreibung anpassen. Schließlich gibt er noch ein Budget vor, mit dem das Angebot in den nächsten Wochen auf unterschiedlichen Portalen ausgespielt werden soll.

Königsdisziplin Fachkräfte finden

Jobtitel wie „Elektroniker Betriebstechnik SPS“ oder „Elektroanlagenmonteur“ mögen verzaubern. Zaubern kann Vojinovic mit ihnen allerdings auch nicht. „Elektrofachkräfte zu finden, ist eine Königsdisziplin“, sagt er. Fürstlich ist daher auch das Budget, das Speira bis zur erfolgreichen Stellenbesetzung einsetzen will. Von den maximal 1.235 Euro wurden in den ersten zwei Wochen der Online-Kampagne gerade mal 14 Euro fällig – die Bezahlung für sieben Klicks auf den „Ja, ich möchte mich bewerben“-Button. Das Feedback des Personalers: „Wir haben in Summe eine bessere Auffindbarkeit erreicht und für den Elektriker auf Wechselschicht fünf Bewerbungen in zwölf Tagen bekommen.“

Der Personaler ist überzeugt, dass auf die erste KI-Anwendung im Recruiting weitere folgen und seine Arbeit vereinfachen werden. „KI wird helfen, dass wir wieder mehr Zeit für den Menschen haben und weniger in administrative Prozesse stecken müssen“, betont er. Allerdings unter der Voraussetzung, dass Datensicherheit gewährleistet werde: „Wir sind als Unternehmen insgesamt sehr vorsichtig mit der Eingabe von Daten.“

Das Recruiting ist nur ein Beispiel für den Einzug der KI in die Personalarbeit. Das Feld reicht vom Vergütungsmanagement bis zur Karriereplanung. Im Vergleich zum Marketing oder der Verkaufsabteilung kommt die Technologie aber in der HR kaum zum Zuge.

Hemmschuh EU-KI-Verordnung

Das hat zu tun mit personenbezogenen Daten und einer europäischen KI-Verordnung, die jedes KI-System im Bereich Beschäftigung als hoch riskant einstuft. Solange aber die strengen Vorschriften eingehalten werden, ist das Potenzial für mehr Effizienz und weniger Burn-out für Personaler riesig, hat der Digitalverband Bitkom 2024 in einer Befragung ermittelt. Zwar verfassen bisher erst 14 Prozent der Unternehmen Arbeitszeugnisse unterstützt durch KI, doch können sich das 45 Prozent für die Zukunft vorstellen. Und 60 Prozent zeigen sich offen dafür, KI für die individuelle Weiterbildungsplanung einzusetzen. Praxis ist das erst bei zwölf Prozent.

Soweit die offiziellen Zahlen. Seit dem Hype um ChatGPT dürfte auch so manche Einladung zum Sommerfest oder ein Leitfaden in einfacher Sprache mit maschineller Hilfe verfasst worden sein. Wobei man sich genau überlegen sollte, wem man seine Daten anvertraut. „Ich persönlich rate von kostenfreien Angeboten ab, denn irgendjemand hat dafür bezahlt – am Ende mit persönlichen Daten“, warnt Wirtschaftsinformatikerin Marina Tcharnetsky. Beim Artificial Intelligence Center Hamburg (ARIC) ist sie für die Geschäftsentwicklung zuständig und begleitet Unternehmen bei der Einführung und Anwendung von KI-Technologien.

Tcharnetskys zweiter Tipp: auf Qualität und zweckmäßige Eignung achten. „Man sollte fragen, wie kuratiert die Inhalte sind.“ Die KI-Botschafterin hat ein „KI-Kreislauf-Modell gegen den Fachkräftemangel“ entwickelt. Es besteht aus vier Schritten: Optimieren, Sichern, Qualifizieren, Expandieren, kurz OSQE. Im Personalwesen betrifft der letzte Schritt die Gewinnung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wie im Beispiel Speira, oder auch deren Einarbeitung. Stellenanzeigen oder Arbeitszeitpläne erstellen – die KI kann bei Routineaufgaben unterstützen, aber niemals ohne kritische Endabnahme. „Die KI ist wie eine engagierte Praktikantin und du bist dafür verantwortlich, dass ihr Ergebnis passt“, so Tcharnetskys Appell an die Personaler.

Spannend dürften für diese die folgenden Schritte sein: zum einen das Sichern von HR-Wissen in einem mit internen Daten gefütterten Sprachmodell – bevor etwa der langjährige Personalchef in Rente geht. Zum anderen das Qualifizieren der Beschäftigten, etwa mithilfe von KI-Lernbegleitern. Ein Pluspunkt im Employer Branding, meint Tcharnetsky, weil das Unternehmen damit Modernität und Interesse an der Entwicklung ihrer Beschäftigten signalisiere.

Chatbot als Karriereplaner

Das geht auch mit einem internen Chatbot als Sparring-Partner für die Karriereplanung, sagt Björn Lüdemann, Personalleiter bei Philips Medical Systems DMC. Das Unternehmen hat eine Instanz von ChatGPT in sein Software-Programm integriert, die nicht mit dem Internet verbunden ist. Dieses Sprachmodell könnten die Beschäftigten für ein Stärkenprofil nutzen, indem sie ihre Tätigkeitsprofile aus bisherigen Philips Funktionen eingeben. „Anonymisiert, auch wenn es intern ist“, betont Lüdemann. Im besten Fall bekomme man dabei Empfehlungen, auf die man selbst nicht gekommen wäre. Im schlechtesten Fall halluziniert der Bot, erfindet also Inhalte und Zusammenhänge, weiß der studierte Informatiker. „Aber das kann man bei seinem Lebenslauf und den eigenen Zielen bestens kontrollieren.“

Das entlaste die Personalentwickler, die viel länger als die KI bräuchten, um sich mit SPS- oder CNC-Programmierung auszukennen. „Wir müssen die KI nutzen, wo sie ihre Stärken hat“, sagt Lüdemann. Für seine Branche sieht er KI-Potenzial in Programmierung und der Agententätigkeit. So wie im Fall von „Evie“, einer KI-Koordinatorin für die Planung und Vorbereitung von Vorstellungsgesprächen, die schon bei Philips im Einsatz ist und den Talentsuchern viel Zeit erspare, so der Personalleiter.

Fotos: iStock (ismagilov, BlackJack3D)