Termin beim Chef: Rino Brugge

Rino Brugge ist seit 2021 CEO von GERMAN NAVAL YARDS. Der international erfahrene Schiffbauer und Familienvater hat Werften in Asien, Afrika und Osteuropa geführt – heute steht er für eine strategische Partnerschaft und europäische Souveränität im maritimen Herzen Deutschlands.

Wenn Rino Brugge aus seinem Büro hoch über der Kieler Förde auf die Werft schaut, sieht er mehr als einen traditionsreichen Industriestandort. Er sieht eine strategische Infrastruktur für Europas Sicherheit, eine Plattform für internationale Kooperation – und eine Heimat für Innovation. „Werften sind für mich wie gigantische Maschinen: komplex, dynamisch, systemrelevant“, sagt der CEO von GERMAN NAVAL YARDS. Seit 2021 leitet der gebürtige Niederländer die Geschäfte am Kieler Ostufer, wo der Schiffbau eine weit mehr als hundertjährige Geschichte hat. Brugges Anspruch: den Standort stärken, das Portfolio schärfen und die europäische Zusammenarbeit vorantreiben.

Ein Leben für den Schiffbau

Rino Brugge ist Schiffbauer mit Leib und Seele. Er entstammt einer Familie mit maritimer Prägung aus Zeeland im südwestlichsten Zipfel Hollands zwischen Nordsee und dem belgischen Flandern – Vater und Großväter arbeiteten auf Werften, in seiner näheren Familie sind viele in der Branche tätig. „Ich bin mit dem Geruch von Stahl und Schmierfett aufgewachsen“, sagt der 50-Jährige in geschliffenem Deutsch, unterlegt mit dem typischen holländischen Singsang. Nach einem Doppelstudium als Maschinenbauer und Wirtschaftsingenieur startete er seine Karriere bei Damen Shipyards, dem niederländischen Schiffbauer. Stationen in Singapur, Casablanca, Katar und zuletzt als CEO einer Großwerft in Rumänien folgten. „Mich haben immer die Komplexität und die Internationalität gereizt. Schiffbau ist nie Routine,“ resümiert der Weitgereiste. Kulturunterschiede ernst zu nehmen und ihnen gleichwohl mit niederländischem Pragmatismus zu begegnen, das hat er in mehr als zwei Jahrzehnten Werftmanager-Karriere verinnerlicht.

Rino Brugge,
CEO GERMAN NAVAL YARDS

Heute lebt Brugge mit Gattin und Tochter in Hamburg, unweit der A7, auf der er fast täglich nach Kiel pendelt. „Ich habe die Nordsee gegen die Ostsee getauscht“, sagt er mit einem Lächeln. Die Verbindung zu Norddeutschland ist für ihn nicht nur geografisch, sondern strategisch: „Kiel ist einer der wichtigsten maritimen Standorte Europas. Wir sind hier, wo die NATO übt, wo sicherheitspolitische Infrastruktur sichtbar wird. Das ist kein Zufall.“ GERMAN NAVAL YARDS teilt sich in Kiel-Gaarden das Werftgelände mit dem U-Boot-Bauer TKMS – beide Firmen gingen aus den Howaldtswerken hervor, die hier seit 1838 Schiffe bauten. Heute ist die GERMAN NAVAL YARDS, Teil der französischen CMN NAVAL Gruppe mit Hauptsitz in Paris. Zu dieser internationalen Unternehmensgruppe zählen unter anderem die Werft CMN (Constructions Méchaniques de Normandie), das britische Unternehmen Isherwoods, sowie HydroQuest, spezialisiert auf Gezeitenenergie-Technologie. Hinter der Gruppe steht die seit Jahrzehnten im französischen Schiffbau etablierte Familie Safa, deren Firmen weltweit über 1.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen, in Kiel sind es derzeit etwa 400. „Wir haben hier eine gute Mischung aus einer großartigen, perfekt aufeinander abgestimmten Infrastruktur und einer erfahrenen, leistungsstarken Mannschaft mit umfassender Projekterfahrung. Das ist unsere Stärke“, weiß Brugge.

Die Kieler Werft hat sich auf den Neubau von Überwasserschiffen sowie auf komplexe militärische Umbau- und Instandsetzungsprojekte spezialisiert. In den vergangenen Jahrzehnten wurden hier unter anderem Korvetten und Fregatten für verschiedene nationale und internationale Marinen hergestellt. Aktuell ist GERMAN NAVAL YARDS unter anderem am F126-Projekt beteiligt, dem Milliarden schweren Großvorhaben der Deutschen Marine zum Bau von sechs Fregatten der sogenannten Niedersachsen-Klasse, das durch Verzögerungen beim Hauptauftragnehmer, der niederländischen Damen-Werft, ins Stocken geraten ist. Rino Brugge bedauert die Situation seines früheren Arbeitgebers, aber er geht davon aus, dass schnell eine Lösung gefunden wird.

Mehr als ein Reparaturbetrieb

„GERMAN NAVAL YARDS bietet weiter das volle Spektrum: von der Entwicklung über den Bau bis zur langfristigen Betreuung im Betrieb“, so Brugge. Die Deutsche Marine ist Dauerkunde, nahm zuletzt im April den instandgesetzten Einsatztruppenversorger Bonn ab. In der Rundumerneuerung sieht Brugge ein besonderes Wachstumspotenzial: „Viele Schiffe werden heute 30 oder 40 Jahre genutzt. Die Innovations-Zyklen werden kürzer und dynamischer, die Anforderungen höher. Das erfordert Know-how und Flexibilität.“

„Die Innovations-Zyklen werden kürzer und dynamischer, die Anforderungen höher. Das erfordert Know-how und Flexibilität.“

Zeitenwende mit Bremsklotz

Die politische Rhetorik der Zeitenwende trifft in Brugges Alltag auf klassische Strukturen. „Es ist gut, dass der politische Wille da ist, die Stärkung der Bundeswehr und besonders der Marine nach vorn zu treiben. Aber das reicht nicht. Wir müssen gemeinsam schneller werden – in der Vergabe, in der Planung, in der Kommunikation.“ Besonders der deutsche Genehmigungsprozess macht dem pragmatischen Niederländer zu schaffen. „Das wäre, als wenn wir für den Bau einer neuen Halle eigens einen Architektenwettbewerb durchführen müssen – da stimmt etwas nicht.“ Auch die fehlende Synchronisierung mit der Industrie kritisiert er: „Wir planen zu oft am Markt vorbei. Wer heute Verteidigungsfähigkeit will, muss die Industrie mitnehmen – frühzeitig, verbindlich, strategisch.“

Die Zusammenarbeit mit anderen Werften sieht Brugge gelassen: „Wir sind Wettbewerber und Partner zugleich. Es gibt Großprojekte, die nur gemeinsam erfolgreich umgesetzt werden können.“ Er wünscht sich dabei ein kooperativeres Klima und eine klarere Rollenteilung: „Deutschland hat einen Flickenteppich aus Werften, die sich häufig ergänzen. Wir als GERMAN NAVAL YARDS sind bei großen Marineprojekten schon immer ein wichtiger Akteur gewesen, und das wird auch in Zukunft so bleiben.“

GERMAN NAVAL YARDS KIEL

Auf der Kieler Traditionswerft wurden schon im zu Ende gehenden 19. Jahrhundert im großen Stil Kriegsschiffe und erste U-Boot-Vorläufer gebaut. Heute verfügt GERMAN NAVAL YARDS über eine einzigartige Infrastruktur, außer dem riesigen Portalkran mit 900 Tonnen Hebeleistung auch ein Trockendock, das mit 426×88 Metern das größte im Ostseeraum ist. Die CMN NAVAL, zu der GERMAN NAVAL YARDS gehört, lieferte in den vergangenen acht Jahrzehnten mehr als 3.500 Boote und Schiffe an 48 internationale Marinen aus.

Fokus auf Ausbildung

Am Kieler Ostufer bildet GERMAN NAVAL YARDS derzeit 27 junge Menschen aus, darunter Konstruktionsmechaniker im Bereich Schweißtechnik, Rohrsystemtechnik, sowie Schiffbautechnik Brugge betont die Bedeutung dieser Nachwuchsförderung: „Wer bei uns lernt, arbeitet an echten Zukunftsprojekten. Wir brauchen diese Talente dringend.“ Gleichzeitig denkt das Unternehmen über neue Angebote nach: etwa ein duales Studium in Kooperation mit Hochschulen oder neue Weiterbildungsformate für Quereinsteiger. „Wir müssen attraktiv sein für die besten Köpfe – technisch, aber auch kulturell“, weiß der polyglotte Brugge, der Beschäftigten aus 13 Nationen vorsteht.

„Wer heute Verteidigungsfähigkeit will, muss die Industrie mitnehmen – frühzeitig, verbindlich, strategisch.“

Europa braucht Souveränität

Mit erfahrenem und neuem Personal plant GERMAN NAVAL YARDS, sein Portfolio zu erweitern: Außer klassischen Marineprojekten sollen künftig auch Offshore-Infrastrukturprojekte bedient werden. „Wir könnten Konverterplattformen für Windparks bauen. Die Kompetenz ist da, und die Infrastruktur ist bereits vorhanden“, sagt Brugge. Auch die Gezeitenkraftwerke, die in Frankreich entwickelt werden, könnten perspektivisch in Kiel gefertigt werden. Brugge sieht darin eine doppelte Chance: wirtschaftlich und gesellschaftlich. „Wenn wir Energiewende und Verteidigungsindustrie zusammen denken, dann entsteht daraus ein neuer industrieller Kern. Und der hat Zukunft.“

Für Rino Brugge ist klar: Die europäische Rüstungswirtschaft muss sich konsolidieren, spezialisieren und zugleich souveräner werden. „Wir dürfen uns nicht abhängig machen von Drittländern. Weder bei der Energie noch bei der Sicherheit. Europa braucht seine eigene industrielle Basis.“ Er setzt auf Kooperation über Grenzen hinweg, aber auch auf klare nationale Verantwortung: „Deutschland muss liefern. Nicht nur Geld, sondern Strukturen, Geschwindigkeit, Verbindlichkeit.“

Brugge argumentiert ruhig, aber bestimmt. Er denkt in Zusammenhängen, nicht in Schlagzeilen. Was ihn antreibt, ist die Mischung aus technischem Anspruch und politischer Relevanz. „Wir bauen hier keine beliebigen Produkte. Wir bauen für die Sicherheit Europas. Das ist gelebte Verantwortung.“ Die nimmt er im privaten vor allem gegenüber seiner 9-jährigen Tochter sehr ernst: In Hamburg wohnt die Familie nicht nur wegen der Nähe zur Autobahn, sondern auch der zum Tierpark Hagenbeck: „Meine Tochter liebt es.“ So wie Rino Brugge sein Schiffbauer-Leben.

Weitere Infos im Video:

Fotos: Christian Augustin, German Naval Yards