Erst eine anonyme Mail, dann Hasspostings, schließlich eine Gewaltandrohung. Für viele Kommunalpolitikerinnen und -politiker in Deutschland ist das Alltag. Der Frühjahrsumfrage 2024 des Kommunalen Monitorings zufolge haben 36 Prozent der Befragten zwischen November 2023 und April 2024 Anfeindungen erlebt. 83 Prozent berichten von psychischen oder physischen Folgen. Die Bedrohung kommunalpolitisch aktiver Menschen ist real. So erlebt es auch Susanne de Bruijn (Freie Wählergemeinschaft), Bürgermeisterin des Fleckens Harsefeld im nordwestlichen Niedersachsen. Seit 2006 engagiert sie sich in der Kommunalpolitik. Zusätzlich zu den vielen Sachthemen, die zu beraten und Herausforderungen, die zu meistern sind, sind es immer wieder auch Hass und Hetze, denen sich Ratskolleginnen und -kollegen ausgesetzt sehen. „Die Anfeindungen, die wir erleben, sind sehr unterschiedlich. Herausragend war ein tätlicher Angriff auf einen Ratskollegen nach einer Sitzung. Eine Anzeige verlief im Sande. Dabei sind wir in der direkten Schusslinie und brauchen Unterstützung“, sagt de Bruijn.
83 % der Betroffenen leiden aufgrund der Anfeindungen an psychischen/physischen Folgen.
Betroffene stärken
Ein Beispiel für eine solche Unterstützung ist der Workshop „Gut vorbereitet auf Hass und Gewalt – Training für eine starke Kommunalpolitik“ des Vereins Starke Demokratie, an dem Susanne de Bruijn und ihre Ratskolleginnen und -kollegen im August 2024 teilgenommen haben. „Wir haben in einem geschützten Rahmen darüber sprechen können, was wir erleben und wie wir uns schützen können. Das war uns enorm wichtig“, so de Bruijn. Starke Demokratie setzt sich seit 2020 für den Schutz kommunalpolitisch engagierter Menschen ein. Mit mehr als 45 ehrenamtlich Aktiven bietet der Verein verschiedene Formate an, um über Hass und Gewalt zu informieren. Aber auch, um Bürgerinnen und Bürger für das Thema zu sensibilisieren. Beides wirkt sich stark auf Betroffene und demokratische Strukturen aus. „Unsere Demokratie braucht Ehrenamtliche – aber viele stehen unter massivem Druck“, erklärt Geschäftsstellenleiterin Andrea Säckl. „Wir wollen, dass sich niemand aus Angst aus der Politik zurückzieht oder eingeschränkt fühlt.“ Mit dem Ziel, den Zusammenhalt und demokratisches Miteinander in Norddeutschland zu stärken, fördert die NORDMETALL-Stiftung seit 2024 den Verein. „Gelebte Demokratie ist die Grundlage für gesellschaftlichen Zusammenhalt und wirtschaftliche Stabilität“, erklärt Stiftungsgeschäftsführerin Kirsten Wagner.
„Mit der Förderung von Starke Demokratie stellen wir uns solidarisch an die Seite von Bürgerinnen und Bürgern, die mit ihrem Engagement die Gesellschaft besser machen wollen.“ Die jüngste Bilanz des Vereins lässt sich sehen: In 30 Workshops sind 2024 mehr als 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erreicht worden. Die Zahl der ehrenamtlich für den Verein Tätigen hat sich seit 2022 mehr als verdoppelt, außerdem konnten neue Angebote geschaffen und bestehende Formate aktualisiert werden. Gleichzeitig sieht sich der Verein mit steigenden Fallzahlen von Gewalt gegen kommunalpolitische Akteure konfrontiert: „Die Zahl der Anfragen ist höher, als wir zurzeit bedienen können“, fasst Säckl zusammen. „Kommunen sind die unterste Regierungsebene und oft das Sprungbrett für politische Karrieren. Wird die Kommunalpolitik beschädigt, leidet die gesamte Demokratie“, erklärt Co-Gründer und Vorstandsmitglied von Starke Demokratie, Meinolf Meyer, zur Motivation der Vereinsgründung. Niels Fischer, ebenfalls Co-Gründer und Vorstand, ergänzt: „Unsere Gesellschaft befindet sich in einer entscheidenden Phase. Nur wenn wir Auseinandersetzungen demokratisch austragen, verhindern wir, dass sie weiter auseinanderdriftet.“
36 % der Befragten haben zwischen November 2023 und April 2024 Anfeindungen erlebt.
Fundament der Demokratie
Die kommenden Jahre sehen beide als Bewährungsprobe für die Demokratie: Nach der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar und der Hamburger Bürgerschaftswahl Anfang März wird Ende 2026 der Landtag in Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Expertinnen und Experten warnen vor einer weiteren Verschärfung des politischen Klimas. Deshalb wird Starke Demokratie seine Arbeit ausweiten: Mit zusätzlichen Workshops, mehr Beratung, Angeboten für die Vernetzung – und einer neugegründeten Regionalstelle in Mecklenburg-Vorpommern, damit Kommunalpolitikerinnen und -politiker vor Ort besser unterstützt werden.
Illustrationen: Adobe Stock (Vadym)