Termin bei den Chefs: Hendrik Murmann & Nicole Schubert

Hendrik Murmann führt in dritter Generation den Kompressorenhersteller Sauer & Sohn – ein Familienunternehmen mit Wurzeln im 18. Jahrhundert und weltweitem Anspruch. Gemeinsam mit Finanzvorständin Nicole Schubert setzt er auf Internationalität, Diversifikation und technologische Komplexität.

J.P. SAUER & SOHN MASCHINENBAU GMBH

Hendrik Murmann, CEO Sauers Compressors, vor einem Helium Kompressor,
der den Start von Raketen ermöglicht.

Hendrik Murmann steht im lichtdurchfluteten Foyer vor seinem Büro und zeigt auf ein antikes Fauteuil im britischen Chesterfield-Stil: „Auf diesem Sofa ist mein Vater von seinem Vater dreimal entlassen worden“, schmunzelt er. „Und mein Vater antwortete dann immer: Ich bin hier der letzte aus der Familie, ich kann die Kündigung leider nicht annehmen.“ Das ist nur eine von Dutzenden Anekdoten, die der 53-Jährige aus der Kieler Unternehmerdynastie der Murmanns erzählen kann. In dritter Generation führt Hendrik Murmann die J.P. Sauer & Sohn Maschinenbau GmbH. Die Firma, 1884 in der Kieler Innenstadt gegründet als „Gelbgießerei Wilhelm Poppe“ und 1929 an den heutigen Standort am nordwestlichen Förde-Ufer in Kiel-Friedrichsort umgezogen, begann ab 1930 die Spezialisierung auf den Kompressorenbau. Kurz vor der Coronapandemie wurde der neue Bürotrakt mit vielen hellen Räumen fertig, jetzt wird nebenan gerade eine große neue Fertigungshalle gebaut, „damit wir unsere anderen kleinen sechs Standorte in Kiel hier zusammenfassen können“, sagt Murmann.

Erfolgsunternehmen mit Tradition aus Kiel

Dass Sauer Compressors eine solche internationale Erfolgsgeschichte werden würde, war 1953 noch längst nicht absehbar, als Murmanns Großvater in Norddeutschland die Firma übernahm. „Erst versuchte er es mit Baustoffen in Westfalen, dann gründete er in Flensburg eine Firma für Fotokameras – die ersten Spiegelreflexkameras Deutschlands unter dem Namen ,UCA‘“, berichtet Enkel Hendrik Murmann. Der Name – eine Abkürzung für Universal Camera – lebt heute noch als Bezeichnung eines Familiensegelboots weiter. Fortgeführt haben die Murmanns auch die Tradition der bereits 1751 im thüringischen Suhl gegründeten Jagdwaffenfabrik J.P. Sauer & Sohn. „1966 kaufte die Familie den nach Eckernförde übersiedelten Betrieb, die drei ineinander verschlungenen S für ‚Sauer, Sohn, Suhl‘, sind heute noch unser Firmenlogo“, erklärt Murmann. Die Jagdwaffensparte verkaufte man bereits 1976 weiter, der Name blieb.

Weltmarktführer für Schiffskompressoren

„Als mein Vater Dr. Dieter Murmann Sauer übernahm, war die Firma fast schon insolvent – die konnten damals nur nicht schnell genug rechnen, um das zu bemerken“, blickt der Firmenlenker auf die späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre zurück. Dann konzentrierte man sich vollständig auf die Kompressorenfertigung. Der Hydraulikbereich ging an seinen Bruder Dr. Klaus Murmann, späterer Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und Onkel von Hendrik Murmann. „In den 70er-Jahren ging es hier um Sparen, Konsolidieren, wettbewerbsfähig werden“, erinnert er sich. Die Sanierung gelang, doch der Weg zum heutigen Weltmarktführer für maritime Kompressoren war noch weit.

„Wir halten heute 80 Prozent des für uns erreichbaren Weltmarktes bei grauen Schiffen“, sagt Murmann über die militärische Verwendung ihrer Kompressoren aus vier Produktlinien. „Ob es die US-Flotte ist oder die Bundesmarine – name it, we’ve got it“, beschreibt Murmann die hoch spezialisierte Nische seines Betriebs, in dem kaum ein gefertigter Kompressor dem anderen gleicht. Doch der mit Abstand größere Teil der Stückzahlen liegt in der zivilen Schifffahrt: „Jedes zweite Schiff auf der Welt rüsten wir aus“, sagt der Chef nicht ohne Stolz. Die Kompressoren werden vor allem gebraucht, um die riesigen Schiffs-Dieselmotoren zu starten. Statt einer Zündkerze wie bei herkömmlichen Verbrennungsmotoren wirkt hier Druckluft, um das Gasgemisch bis zur Selbstentzündung zu komprimieren. Große Containerschiffe haben kein Getriebe, sondern stoppen und wenden durch Umkehr der Motorlaufrichtung – so gesehen dienen die Kompressoren ebenso der „Bremse“.

International und divers

Die internationale Erfolgsgeschichte von Sauer begann 1989 mit der Übernahme des französischen Wettbewerbers Girodin nahe Paris. „Wir haben gleich in der Champions League angefangen mit deutsch-französischer Zusammenarbeit“, so Murmann. Es folgten weitere Übernahmen und Neugründungen, darunter der Produktionsstandort Zandov in Tschechien und eine Niederlassung in den USA, die auf Drängen der amerikanischen Marine entstand: „Die US-Navy hat gesagt: Wir wollen unbedingt eure Technologie, aber wir müssen unsere Geheimnisse beschützen, deshalb machen wir das mit euch nur, wenn ihr hier produziert“, so der Firmenchef.

Um die Jahrtausendwende begann Sauer, auch verstärkt Industrieanwendungen zu entwickeln. 2016 folgte die Übernahme der Schweizer Firma Haug in St. Gallen, die gasdichte ölfreie Kompressoren für industrielle Anwendungen herstellt – ein weiterer wichtiger Schritt zur Diversifizierung des Portfolios. „Je komplizierter, desto lieber“, beschreibt Murmann die Maxime seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit. „Der Individualisierungsgrad unserer Anlagen ist sehr hoch.“ Vom Start als kleine Kompressorfirma mit 120 Beschäftigten und vier Millionen Mark Umsatz Anfang der 1970er-Jahre ist Sauer mittlerweile auf mehr als 1.000 Angestellte und knapp 250 Millionen Euro Jahresumsatz gewachsen. Und längst arbeiten die Kieler Kompressoren auch im Bereich der Raumfahrt, in den größten Wasserkraftwerken der Welt oder im Fusionsreaktor ITER im französischen Cadarache. Das Industriegeschäft macht aktuell etwa 50 Prozent des Jahresumsatzes aus. Konsequent hat Sauer Compressors eigenen Nachwuchs im Management weiterentwickelt und sich durch von außen ins Unternehmen geholte junge Topmanager verstärkt. „Inzwischen bin ich der Älteste in der heutigen fünfköpfigen Führungsriege“, bemerkt Hendrik Murmann augenzwinkernd.

Seit einem Jahr verstärkt Nicole Schubert als Finanzvorständin die Sauer-Geschäftsführung. Die gebürtige Schweizerin aus dem schönen Appenzell nennt drei Kriterien, die sie bei Sauer gefunden hat: „Ein Familienunternehmen mit langfristiger Ausrichtung, ein technologisch komplexes Produkt und ein Team, das gemeinsam agiert.“ Die 37-Jährige hatte diese Werte schon in ihrem ersten Job als Geschäftsführerin für das Finanzwesen eines Unternehmens der Schweizer Uhrenindustrie kennen und schätzen gelernt. In Hendrik Murmann fand sie einen Familienunternehmer, der diese Maximen verinnerlicht hat: „Meine einzige Aufgabe ist es, die Zukunftsfähigkeit dieser Firma sicherzustellen. Wenn Sie so wollen: Ich arbeite mit meinem Großvater, mit meinem Vater, mit meinen Kindern und deren Kindern zusammen.“

„Ein Familienunternehmen mit langfristiger Ausrichtung, ein technologisch komplexes Produkt und ein Team, das gemeinsam agiert.“

Familiendynastie mit Zukunft

Ganz oben auf der Agenda steht die internationale Personalentwicklung. Als Vorsitzender des Kieler Unternehmerverbands setzt sich Murmann seit Jahren für eine internationale Schule in der Landeshauptstadt ein. „Das Institut für Weltwirtschaft hat im letzten Mai eine Studie veröffentlicht: Allein in Schleswig-Holstein fehlen 2030 rund 330.000 Arbeitskräfte“, mahnt er. „Wir müssen eine echte Willkommenskultur für Fachkräfte aus aller Welt schaffen – und zwar eine ernst gemeinte.“ Woran es seinem Team bis 2030 überhaupt nicht fehle, seien Ideen. Die maritime Wirtschaft werde sich fortentwickeln und wachsen, ist er überzeugt – trotz aller Veränderungen bei den Antriebstechnologien. Außer klassischen Anwendungen sieht er großes Potenzial im Bereich Wasserstoff und spezieller Gase. Den Erfolg von Sauer Compressors schreibt er vor allem der interkulturellen Kompetenz zu: „Wir beschäftigen weit mehr Mitarbeiter außerhalb von Kiel als in Kiel. Unsere Kernherausforderung ist internationale Kooperation – mit uns selbst, mit unseren Partnern und mit unseren Kunden.“

Auf die Frage, ob seine Kinder – zwei Söhne (12 und 9 Jahre alt) und eine 7-jährige Tochter – einmal das Unternehmen übernehmen werden, antwortet der Familienmensch entspannt: „Es wird meine Aufgabe sein, die Firma zu übergeben – ob an meine Kinder, an meine Neffen und Nichten, das wird die Zukunft zeigen.“ Klar ist für ihn nur: „Wenn ich die Begeisterung fürs Unternehmertum übertragen kann, dann freut mich das.“

Hendrik Murmann selbst brauchte lange, um seinen Weg ins Familienunternehmen zu finden. „Seit ich zehn Jahre alt bin, klopft man mir mit ölverschmierten Händen auf den Rücken und sagt: Na, wann fängst du denn hier an?“ Diese Erwartungshaltung führte zunächst zu Widerstand. „Zu meinen Triebfedern gehört, dass ich selbstbestimmt sein will“, erklärt Murmann. „Ich habe sehr lange gebraucht, das zu merken und zu begreifen.“ Nach dem Abitur Anfang der 1990er-Jahre im Internat Louisenlund absolvierte er bis 2003 ein Jurastudium in Regensburg und hängte nach einigen Jahren in familienfernen Unternehmen noch 2010 einen MBA an der European Business School in London dran, bevor er erst 2011 in den Familienbetrieb eintrat. Heute kann er sich nichts anderes mehr vorstellen: „Dieser Beruf ist auch mein Hobby – es motiviert mich, macht mich glücklich, macht mich zufrieden.“ Nur Segeln sei gelegentlich auch schön. Alexander Luckow

Sauer & Sohn Maschinenbau

Der weltweit agierende Kompressorenhersteller blickt auf eine 140-jährige Firmengeschichte zurück: Wilhelm Poppe gründete 1884 in der Kieler Innenstadt eine Gelbgießerei, die damals mithilfe von Lehmoder Sandformen Messing-Gegenstände herstellte. 1953 übernahm Walter Murmann die mittlerweile nach Kiel-Friedrichsort umgezogene Fabrik vollständig, in der nun Kompressoren gebaut wurden, was dessen Enkel Hendrik Murmann heute mit einem sehr breiten Produktspektrum fortführt.

Hendrik Murmann von Sauer Compressors im Video:

Fotos: Christian Augustin