Wer rund 100 Jahre lang für eine Sache kämpft, wird sie so schnell nicht wieder hergeben. So ist es auch mit dem Acht-Stunden-Tag, einer der ältesten Forderungen der Arbeiterbewegung. 1918 im Stinnes-Legien-Ankommen festgeschrieben, sollten die kürzeren Schichten hunderttausenden Kriegsheimkehrern ausreichend Arbeit verschaffen.
Heute ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt eine vollkommen andere: Zum einen bereiten Fachkräftemangel und demographischer Wandel den Unternehmen und zunehmend auch der Politik Sorgen. Der Wirtschaftsstandort Deutschland steht massiv unter Druck. Zum anderen hat sich der Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Betrieben durch Automation und nachhaltige Produktionsweisen seit dem Ende des Kaiserreichs drastisch verbessert.
Trotzdem lehnen die Gewerkschaften bislang alle Versuche ab, die tägliche Höchstarbeitszeit zu flexibilisieren. Anfang September formulierte die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi, sogar öffentlich: „Das Problem bei der Gestaltung von Arbeitszeiten ist nicht das Arbeitszeitgesetz, sondern sehr oft sind es die Arbeitgeber selbst.“ Diese Fundamentalopposition präge auch den Sozialpartnerdialog im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), wie von Teilnehmern zu hören ist. An einen tragfähigen Kompromiss glaubt in Berlin kaum jemand. Sogar das Wort von der Reformunfähigkeit macht die Runde.
BMAS muss liefern
Einen Reformvorschlag für das Arbeitszeitgesetz wird das BAMS jedoch liefern müssen. Die CDU/CSU hatte in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt, dass „im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit“ geschaffen werden solle.
Damit greift die Union eine seit Jahren bestehende Forderung der Arbeitgeber auf. Eine aktuelle Umfrage von NORDMETALL und AGV NORD bestätigt: 87 Prozent der rund 290 befragten Geschäftsführungen und Personalleitungen aus dem Norden befürworten die politischen Überlegungen zur Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeitgrenze zugunsten einer wöchentlichen Betrachtung. Fast die Hälfte hält die politische Debatte zur Arbeitszeitflexibilisierung für überfällig.
Auch Meik Hirtzel und seine Kollegen von der 2K Service GmbH hoffen auf mehr Gestaltungsfreiheit für den Personaleinsatz. „Die Anforderungen unserer Kunden an Instandsetzung und Service sind sehr hoch. Das passt mit den starren Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes häufig nicht zusammen“, sagt der Personalleiter. 2K ist unter anderem exklusiver Servicedienstleister für den Maschinenbauer Danfoss Power Solutions in Neumünster. 2K-Techniker warten die Produktionsanlagen von Danfoss regelmäßig, setzen sie Instand und sind bei akuten Problemen zur Stelle. „Unsere Kollegen können kaum nachvollziehen, dass sie eine Reparatur kurz vor ihrem Abschluss abbrechen müssen, wenn sie inklusive Hin- und Rückfahrt länger als zehn Stunden am Tag arbeiten würden“, sagt Hirtzel. Zehn Stunden beträgt die geltende tägliche Höchstgrenze, die ein Beschäftigter im Ausnahmefall arbeiten darf. Stattdessen müssen die fehlenden Handgriffe am nächsten Tag erledigt werden, was einen unverhältnismäßigen Aufwand durch die erneute An- und Abfahrt bedeutet. Die Erledigung weiterer Aufträge muss warten. „Das ist für unsere Kunden ökonomisch nicht tragbar, für unsere Mitarbeiter ist es unnötig belastend und für unser Unternehmen kaum planbar“, fasst Hirtzel die Lage zusammen.
Ruhezeiten reformieren
Die starre tägliche Höchstarbeitszeit ist nicht das einzige Problem, das den Personalleiter bei der Planung plagt: „Im Monat kommt es bis zu fünf Mal vor, dass Kollegen nicht zu ihrer Schicht antreten können, da sie sich während der Rufbereitschaft um einen technischen Notfall kümmern mussten.“ Das Arbeitszeitgesetz regelt nämlich auch die Pausen zwischen den Arbeitseinsätzen. Demnach müssen Arbeitnehmer „nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben“. Kaum ein Unternehmen kann es sich leisten, einen weiteren Mitarbeiter als zusätzliche Sicherheit zu beschäftigen, der bei Bedarf die Schicht übernimmt. Sind die betreffenden Kollegen sehr spezialisiert, klappt eine Vertretung ohnehin nicht, so Hirtzel. „Hier hat der Gesetzgeber die betrieblichen Gegebenheiten offensichtlich nicht bedacht.“ Auch andere NORDMETALL- und AGV-NORD-Mitglieder sind mit der gesetzlichen Regelung unzufrieden: 60 Prozent der befragten Unternehmen fordern eine Neudefinition von Arbeits- und Bereitschaftszeit, 47 Prozent wünschen sich eine Reform der Ruhezeiten.
87% befürworten die Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit
Kombination als Kompromiss
Aktuell besteht jedoch wenig Hoffnung, dass der Gesetzgeber handelt. Laut Koalitionsvertrag sollen „die geltenden Ruhezeitregelungen beibehalten“ werden. Und auch im Sozialpartnerdialog sind die Ruhezeiten kein Thema. Dr. Peter Schlaffke, stellvertretender Hauptgeschäftsführer und Leiter des Bereichs Recht und Betrieb bei NORDMETALL, ist jedoch überzeugt: „Für eine praxistaugliche Flexibilisierung der Arbeitszeit braucht es eine Kombination aus wöchentlicher Höchstarbeitszeit und einer flankierenden Ruhezeitenregelung.“
Von den Horrorszenarien der Gewerkschaften, denen 13-Stunden-Tage und mehr zur Regel werden, will der Jurist und Tarifexperte nichts wissen. „Den Arbeitgebern geht es darum, punktuell über die Zehn-Stunden-Grenze hinaus gehen zu dürfen. Keiner soll länger arbeiten müssen, aber die Arbeit sollte innerhalb der Woche besser verteilt werden dürfen. Von einer massen- und dauerhaften Ausweitung der Arbeitszeit ist nicht die Rede“, stellt Schlaffke klar.
Das wäre auch mit EU-Recht nicht vereinbar. Denn die EU-Arbeitszeitrichtlinie von 2003 sieht zwar keine tägliche, wohl aber eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von durch- schnittlich 48 Stunden vor. In der Metall- und Elektroindustrie ist gemäß Tarifvertrag im Westen eine wöchentliche Arbeitszeit von 35-Stunden-Woche üblich, die maximal auf 40 Stunden verlängert werden kann – dies nur einvernehmlich vereinbart zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten. Arbeitgebervertreter Schlaffke zeigt sich kompromissbereit: „Es wäre schon ein kleiner Fortschritt, wenn die verkürzten Ruhezeiten von neun Stunden für tarifgebundene Unternehmen uneingeschränkt gelten würden.“ Denn „die Art der Arbeit“, die das deutsche Arbeitszeitgesetz einschränkend für eine Verkürzung der Ruhezeit voraussetzt, erfordere es in der Metall- und Elektroindustrie nur selten, diese auf neun Stunden abzusenken. Positiv hebt Schlaffke die tarifvertraglich vereinbarte Verkürzung der Ruhezeit bei mobiler Arbeit hervor – hier waren sich die Parteien bei Abschluss des Tarifvertrages 2018 einig, dass größere Flexibilität sinnvoll ist.
47% halten die politische Debatte für überfällig
Politik der kleinen Schritte
An der Politik der kleinen Schritte wird bei der dringend benötigten Reform des Arbeitszeitgesetzes kaum ein Weg vorbeiführen. „Die moderne Arbeitswelt erfordert flexible gesetzliche Regelungen“, sagt Schlaffke. Andernfalls ließen sich Auftragsspitzen, Personalausfälle, Projekt- oder internationale Zusammenarbeit nicht wettbewerbsgerecht meistern. „Es ist nicht einzusehen, warum die Unternehmen in Deutschland schlechter gestellt sind als diejenigen in der übrigen EU und wir uns seit Jahren durch die Grenze der täglichen Arbeitszeit über die Maßen beschränken“, so Schlaffke.
Arbeitszeit muss Vertrauenssache bleiben
Die Regierungsparteien wollen laut Koalitionsvertrag „die Pflicht zur elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten unbürokratisch regeln“. Die Vorgängerregierung von SPD, Grünen und FDP war mit ihrem Versuch gescheitert, nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Herbst 2022 und anschließendem Sozialpartnerdialog einen Entwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorzulegen. Dieser sollte die nach wie vor bestehende Rechtsunsicherheit bezüglich des „Wie“ der Arbeitszeiterfassung beseitigen und eine praxistaugliche Ausgestaltung derselben beinhalten.
Eindeutig stellt der schwarz-rote Koalitionsvertrag klar: „Die Vertrauensarbeitszeit bleibt ohne Zeiterfassung im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie möglich.“ Für Arbeitgeber im Norden eine erfreuliche Entwicklung. Gut die Hälfte beschäftigt ihre Führungskräfte nach diesem Modell. So das Ergebnis einer aktuellen Befragung unter Mitgliedsbetrieben von NORDMETALL und AGV NORD. Bei einem Viertel der Befragten ist die Vertrauensarbeitszeit sogar ein breites Modell für viele Beschäftigte. Müssten nun auch diese ihre Arbeitszeit minutengenau erfassen, befürchten 64 Prozent der Unternehmen einen Rückgang der Flexibilität. 56 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass die Beschäftigten die Zeiterfassung ablehnen. Knapp die Hälfte rechnet mit steigenden Kosten durch mehr Bürokratie.
Den Vorschlag der Arbeitgeber eine ausdrückliche und einvernehmliche Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit gesetzlich zu ermöglichen – entweder per Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung –, lehnen die Gewerkschaften bislang ab, selbst wenn diese ein beiderseitiges Rückkehrrecht zur Zeiterfassung beinhalten würde. An der Ausgestaltung solcher Details wird sich die angekündigte Reform des Arbeitszeitgesetzes unter Schwarz-Rot messen lassen müssen. Mit einem Gesetzentwurf ist Anfang 2026 zu rechnen.
Fotos: shutterstock (Neu Afrika); istockphoto (LeonidKos)