Face to Face: Dr. Peter Schlaffke und Stefan Soost

Bundestariftreuegesetz, Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie, Wochen- versus Tagesarbeitszeit, Mindestlohnrichtlinie, Bürokratieabbau – es gibt viel zu besprechen in diesen Monaten, nicht nur zwischen den Sozialpartnern und der Politik, sondern auch unter Gewerkschaftern und Arbeitgebern. Zwei Sichtweisen treffen im Gespräch zwischen Dr. Peter Schlaffke, stellv. Hauptgeschäftsführer von NORDMETALL, und Stefan Soost, Tarifrechtler in der Bezirksleitung der IG Metall Küste, aufeinander.

Dr. Peter Schlaffke
… Jahrgang 1969, hat nach seinem juristischen Studium in Köln und Referendariat in Hamburg sowie San Francisco seine berufliche Laufbahn im Geschäftsführernachwuchslehrgang der BDA begonnen. Nach zweijähriger Tätigkeit bei Gesamtmetall startete er als Geschäftsführer Tarifpolitik bei NORDMETALL und ist inzwischen als stellvertretender Hauptgeschäftsführer für den Bereich Recht und Betrieb verantwortlich. Dr. Schlaffke ist Mitglied in den Tarifausschüssen von Hamburg und Schleswig-Holstein und seit 2021 ehrenamtlicher Richter am Bundesarbeitsgericht.

Stefan Soost
… Jahrgang 1969, war nach seinem juristischen Studium in Göttingen und Referendariat in Berlin für die IG Metall zunächst in der Geschäftsstelle Berlin und beim Vorstand in Frankfurt tätig. Seit 2016 arbeitet er als Bezirksjurist im Tarifteam der IG Metall Bezirksleitung Küste in Hamburg. Zudem ist er Mitglied im Aufsichtsrat der ArcelorMittal Bremen GmbH. Er ist seit 2012 ehrenamtlicher Richter beim Bundesarbeitsgericht und war von 2010 bis 2015 ehrenamtlicher Richter beim Bundessozialgericht. Weiterhin ist er Beiratsmitglied der Jahrestagungen Europäisches und Internationales Arbeits- und Sozialrecht (EIAS).


Standpunkte: Warum braucht es zusätzlich zur Tarifautonomie, die Gewerkschaften und Arbeitgeber in Deutschland ja seit Jahrzehnten erfolgreich ausfüllen, jetzt auch noch ein Bundestariftreuegesetz?

Stefan Soost: Tariftreue ist etwas grundsätzlich Positives. Uns geht es darum, dass öffentliche Aufträge an Unternehmen gehen, die ordentliche Löhne zahlen. Das ist eine Flankierung der Tarifautonomie. Der Staat setzt einen Rahmen, er setzt ihn nicht an die Stelle von Tarifverträgen. Wir wollen verhindern, dass sich Unternehmen mit niedrigen Löhnen Wettbewerbsvorteile verschaffen. Wenn tarifgebundene Unternehmen sich an Regeln halten und andere das unterbieten können, ist das nicht fair.

Standpunkte: Trotzdem hat dieser staatliche Eingriff aber erhebliche Risiken, oder?

Peter Schlaffke: Das Gesetz greift mit Zwangsmaßnahmen in die Tarifautonomie ein. Wir Arbeitgeber befürchten einen enormen Bürokratieaufwand. Ein mittelständischer Betrieb, der sich an einer Ausschreibung beteiligt, muss plötzlich Nachweise sammeln, Daten aufbereiten und zusätzliche Dokumentationen beibringen. Das schreckt viele von der Teilnahme an Ausschreibungen ab. Für uns stellt sich die Frage: Wie viele Unternehmen verlieren wir aus den Bieterverfahren, weil die Hürden zu hoch werden? Am Ende schädigt das den Wettbewerb und die Preise steigen. Viele Kreise und Kommunen beklagen das schon in den Bundesländern, die seit längerem ein Tariftreuegesetz haben. Wir schießen so mit Schrot in den Wald, ohne zu wissen, was wir eigentlich treffen.

Soost: Das neue Bundesgesetz sieht aber bereits Ausnahmen vor. Es gibt Schwellenwerte, es gibt Auftragsdauern, unter denen die Regelungen gar nicht greifen. Der Staat macht nicht alles zu, er schafft einen Standard – und der kann mit Augenmaß ausgestaltet werden.

Schlaffke: Die Schwellenwerte sind trotzdem zu niedrig. Der maßgebliche Auftragswert sollte auf 100.000 Euro verdoppelt werden. Für Ausschreibungen unter zwei Monaten sollte Tariftreue komplett entfallen. Außerdem brauchen wir eine klare Privilegierung von Tarifverträgen: Haustarifverträge, Sanierungstarifverträge, Flächentarifverträge – wer nach Tarif zahlt, darf nicht zusätzlich belastet werden. Wenn ein Betrieb tarifgebunden ist, muss das reichen.

Standpunkte: Wird die Tarifbindung durch Tariftreuegesetze überhaupt erhöht? In den Bundesländern, die so etwas schon haben, war das ja nicht der Fall.

Soost: Sie kann zumindest helfen. Wenn tarifliche Standards für öffentliche Aufträge verpflichtend werden, entstehen Anreize, sich zu binden. Auch ohne detaillierte Daten lässt sich sagen, dass die Tariftreue den fairen Wettbewerb fördert und damit das Tarifsystem stabilisiert.

Schlaffke: Für mich steht fest, dass der Effekt völlig überschätzt wird. Warum sollte ein Unternehmen sich an einen Tarifvertrag binden, nur weil es Nachweise für eine Ausschreibung liefern muss? Das Ziel wird verfehlt, wenn wir nicht verstehen, warum Betriebe überhaupt aus Tarifverträgen ausgetreten sind oder wenn es uns nicht gelingt, durch attraktive Flächentarifverträge die Unternehmen an sie zu binden.

Standpunkte: Ein zweites regulatorisches Großprojekt ist die Entgelttransparenzrichtlinie. Warum ist das für die Gewerkschaften so wichtig?

Soost: Das Prinzip ist einfach: gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit. Das ist doch selbstverständlich. Hier muss man ganz klar mit Blick auf die bestehenden Entgeltunterschiede sagen, dass die Wirtschaft ihre Hausaufgaben bisher nicht gemacht hat. Wir sehen die Chance, dass Beschäftigte mehr Einblick bekommen und Diskriminierung abgebaut wird.

Standpunkte: Geht das überhaupt ohne hohen Bürokratieaufwand?

„Transformation gelingt nur, wenn wir gemeinsam handeln: Arbeitgeber, Gewerkschaften und Politik.“
Dr. Peter Schlaffke

Schlaffke: Zunächst ist der Entgeltbegriff zu weit gefasst. Da geht es nicht nur um Lohn und Gehalt, sondern auch um Dienstwagen, Boni, Zusatzleistungen. Ich frage mich: Wie soll ein Unternehmen das in Vergleiche bringen, vor allem ein kleines oder mittleres? Wie erstellt man statistische Auswertungen, wenn die Belegschaften heterogen sind? Das ist technisch kaum machbar. Tarifverträge sind hier eigentlich das einfachste Instrument. Wenn ein Unternehmen tarifgebunden ist oder Tarifverträge anwendet, dann sollte die Berichtspflicht enden.

Soost: Bei tarifgebundenen Unternehmen sind wir gar nicht so weit auseinander. Wir wollen auch eine EU-rechtskonforme und zugleich bürokratiearme Umsetzung. Entscheidend ist, dass Ungleichbehandlung sichtbar wird und abgestellt werden kann.

Schlaffke: Die gibt es in der flächentarifgebundenen Metall- und Elektroindustrie nicht. Wir wenden das vor bald 20 Jahren zwischen uns ausgehandelte Engeltrahmenabkommen (kurz: ERA, Anm. d. Red.) erfolgreich an, in dem gleicher Lohn für gleiche beziehungsweise gleichwertige Arbeit festgeschrieben worden ist.

Standpunkte: Kommen wir zur Debatte um die Wochenarbeitszeit, die die IG Metall vehement ablehnt. Warum?

Soost: Der Achtstundentag ist ein Schutzinstrument. Es gibt Erkenntnisse, dass die Unfallgefahr am Arbeitsplatz nach acht oder zehn Stunden signifikant ansteigt. Arbeitszeit hat etwas mit Gesundheit zu tun. Wenn Beschäftigte zu lange arbeiten, steigen die Belastung und das Risiko. Darum ist der Tagesbezug so wichtig.

Standpunkte: Und die Arbeitgeberseite sagt: Die Praxis verlangt manchmal Flexibilität.

Schlaffke: Ja, in vielen Situationen braucht es einfach mehr Spielräume. Wenn ein Schaltkasten fertig werden muss oder wenn jemand offshore arbeitet, kann es sinnvoll sein, zwölf Stunden zu arbeiten, zu übernachten und am nächsten Morgen wieder weiterzumachen. Das ist kein Dauerzustand, aber in bestimmten Situationen notwendig. Wir reden nicht über eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit, sondern über punktuelle Ausnahmen am Tag, die keinen Eingriff in den Arbeitsschutz bedeuten.

Soost: Die gesetzlichen Normen sind der Schutzstandard. Und unsere Tarifverträge bieten schon jetzt ausreichend große Gestaltungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel die Flexibilitätskonten in unseren Manteltarifverträgen zeigen. Wir sind nicht gegen Flexibilität, aber sie muss geregelt sein und darf nicht zu gesundheitlichen Risiken führen.

Schlaffke: Was in allen anderen europäischen Ländern mit dem Segen der EU geht, sollte auch bei uns möglich sein. Ich sehe nicht, dass es in Frankreich oder den Niederlanden dadurch weniger Arbeitsschutz und mehr Arbeitsunfälle gibt.

Standpunkte: Stichwort Ausland: Dänemark hat beim Europäischen Gerichtshof gegen die Mindestlohnrichtlinie geklagt, vor Kurzem erging das Urteil.

Soost: Wir sehen den Richterspruch positiv. Die Mindestlohnrichtlinie wurde im Kern bestätigt. Das ist eine gute Grundlage, auf der wir weiterarbeiten können. Das ist ein europäisches Signal für faire Löhne.

Schlaffke: Das Urteil hat aber auch deutlich gemacht, dass bestimmte Kriterien – wie die 60-Prozent-Median-Betrachtung als Grundlage – nicht rechtmäßig sind. Da wird es Diskussionen geben. Aber ich gehe davon aus, dass der Mindestlohn in Deutschland in seiner Höhe bestehen bleibt. Eventuell müssen jedoch bestimmte methodische Ansätze angepasst werden.

Standpunkte: Die Wirtschaft klagt seit Jahren über die wuchernde Bürokratie, jetzt wagt sich die Politik endlich an echten Abbau. Warum ist das so schwer zu schultern?

Schlaffke: Weil wir nicht messen, was wir wie abbauen wollen. Dazu brauchen wir klare Ziele, Kennzahlen und Verantwortlichkeiten. Wenn wir nicht genau wissen, was wir wo reduzieren, bleibt am Ende nur Symbolpolitik. Unternehmen leiden massiv unter Dokumentations- und Berichtspflichten. Da müssen wir Prioritäten setzen.

Soost: Bürokratieabbau darf aber nicht zum Abbau von Arbeitnehmerrechten führen. Ja, wir brauchen Modernisierung, digitale Prozesse, klare Strukturen. Aber nicht auf Kosten von Transparenz oder Schutzrechten. In vielen Fällen liegt das Problem nicht in der Menge der Regeln, sondern in ineffizienten Verfahren.

Standpunkte: Sollten neue Gesetze wie die zur Tariftreue oder zur Entgelttransparenz schnell evaluiert werden?

Schlaffke: Unbedingt. Ich würde nach einem Jahr draufschauen. Wenn Betriebe sich nicht mehr bewerben, verlieren wir Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Das muss man früh erkennen. Eine Evaluation ist ein Sicherheitsventil.

Soost: Eine Evaluation ist sinnvoll, aber sie muss realistisch sein. Ein Jahr ist sehr ambitioniert, weil Unternehmen und Verwaltungen Zeit brauchen, sich auf neue Regeln einzustellen. Aber grundsätzlich stimme ich zu: Wir müssen hinschauen, was wirkt und was nicht.

Standpunkte: Bei allen Differenzen: Wo sind Sie sich einig?

Schlaffke: Dass die Transformation nur gelingt, wenn wir gemeinsam handeln: Arbeitgeber, Gewerkschaften und Politik. Wir brauchen klare Regeln, aber sie müssen praxisnah und umsetzbar sein. Sonst bleibt die Industrie auf der Strecke.

Soost: Und wir brauchen Sicherheit für Beschäftigte. Transformation gelingt nur, wenn Menschen mitgehen. Dafür braucht es Tarifbindung, Qualifizierung und gute Arbeitsbedingungen. Wir haben mehr gemeinsame Ziele, als man auf den ersten Blick denkt.

Standpunkte: Vielen Dank für dieses Gespräch.

„Wir haben mehr gemeinsame Ziele, als man auf den ersten Blick denkt.“
Stefan Soost

Fotos: Christian Augustin

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