Franziska Hoppermann MdB
… ist seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2025 Bundesschatzmeisterin der CDU. Sie ist ordentliches Mitglied im Ausschuss für Digitales und Staatsmodernisierung sowie im Haushaltsausschuss. Von 2009 an war sie Beamtin der Freien und Hansestadt Hamburg, zuletzt Senatsdirektorin in der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz. Sie ist Landesvorsitzende der Frauen Union Hamburg sowie Mitglied im Bundesvorstand der Frauen Union der CDU Deutschlands. Zudem ist sie Mitglied der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Thorsten W. Alsleben
… hat sein juristisches Staatsexamen in Bonn abgelegt und bei der Deutschen Welle ein Volontariat zum TV- und Hörfunkredakteur absolviert. Nach Stationen beim ZDF in Düsseldorf und als Hauptstadtkorrespondent in Berlin sowie im Leitungsstab des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wie auch als Hauptstadtrepräsentant der Unternehmens- und Personalberatung Kienbaum war Alsleben zuletzt knapp neun Jahre lang Hauptgeschäftsführer der Mittelstands- und Wirtschaftsunion. Seit April 2023 ist er Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Er ist verheiratet und hat drei Kinder.
Standpunkte: Frau Hoppermann, Herr Alsleben, es mehren sich die Stimmen, die kritisieren, dass es mit der Wirtschaftswende und dem Bürokratieabbau zu lange dauert. Der Kanzler hat im Bundestag um Geduld geworben, Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche gebeten, bis Dezember abzuwarten. Was ist da los? Warum dauert das so lange?
Franziska Hoppermann MdB: Ich finde nicht, dass es zu lange dauert. Wir hatten 60 Tage neue Bundesregierung bis zur Sommerpause, gleich danach haben wir uns den Haushalten 2025 und 2026 gewidmet. Das ist schon sportlich. Außerdem muss man die Systematik der großen Reformen verstehen. Das ist nichts, was per Dekret geht, sondern es zieht aus guten Gründen föderale und parlamentarische Verfahren nach sich. Dinge, die man schnell ändern kann, sollten auf dem Verordnungswege getan werden, Katherina Reiche hat zum Beispiel vor Kurzem ein großes Papier zum Thema Energie und Money-Shoring vorgestellt. Ich verstehe den Druck und die problematische wirtschaftliche Lage, aber Sie müssen uns auch die Zeit geben, das alles nacheinander abzuarbeiten.
Standpunkte: Herr Alsleben, ist das der normale Gang der Dinge oder sind wir doch zu langsam?
Thorsten W. Alsleben: Ich würde es kritischer sehen als Frau Hoppermann. Die Regierung ist angetreten für eine Wirtschaftswende, aber der Koalitionsvertrag und die ersten Entscheidungen atmen diesen Geist noch nicht. Ich gebe zu, dass das mehr an der SPD als an der Union liegt. Aber die Union ist die Kanzlerpartei und müsste da mehr Druck machen. Natürlich wurden etwa Abschreibungen auf den Weg gebracht und die Aussicht auf eine Unternehmenssteuerreform ist da. Aber beim Bürokratieabbau, wo man schnell und ohne Kosten Effekte erzielen könnte, läuft nicht nur zu wenig, es läuft sogar das Gegenteil. Ein Gesetz, das Ausschreibungen noch weiter verkompliziert und den Mittelstand ausschließt, weil Tariftreue vorgeschrieben wird, sendet falsche Signale. Im Moment generiert das nur Resignation.
Standpunkte: Lassen Sie uns beim Bürokratieabbau bleiben. Was hat es mit dem Entgelttransparenzgesetz und dem Tariftreuegesetz auf sich? Kommen die so, wie sie von der Ampel angedacht und der SPD gefordert waren?
Hoppermann: Beim Tariftreuegesetz bin ich ehrlich gesagt sehr zwiegespalten. Ich halte nichts davon, öffentliche Vergaben und Beschaffungen mit tausend anderen Zielen zu überladen. Sie verkomplizieren und verlangsamen den Beschaffungsprozess. Insofern teile ich die Kritik von Herrn Alsleben an diesem Punkt. Beim Entgelttransparenzgesetz müssen wir gucken, was die europäische Vorgabe ist und wie wir sie national umsetzen. Was wir als Union im Fokus haben, ist, es so simpel wie möglich zu machen und so wenig wie möglich den Mittelstand zu belasten.
Alsleben: Der Kardinalfehler liegt schon im Koalitionsvertrag: Es ist der Grundgedanke, dass wir im Wesentlichen so weitermachen können wie bisher und nur ein paar Reformen machen müssen. Das ist grundfalsch: Wenn Feuer unterm Dach lodert, kann man nicht sagen, wir überlegen jetzt mal, wie wir demnächst an der Terrasse Brandschutztüren einbauen, sondern da muss man akut löschen. Und zum Löschen gehört, dass man nicht noch zusätzliches Öl reingießt. Das Tariftreuegesetz ist so ein Öl, das Entgelttransparenzgesetz auch. Und wie kann es sein, dass wir jetzt einen Lieferkettengesetzentwurf bekommen, der nicht aus dem Satz besteht: „Das Lieferkettengesetz wird abgeschafft“, so wie im Koalitionsvertrag vereinbart? Stattdessen werden in homöopathischen Dosen ein paar Regulierungen abgeschwächt.
Standpunkte: Lassen Sie uns mal zum Thema Haushalt und Steuern kommen. Es gibt Vorschläge zur Reichensteuer oder der Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Wie sehen Sie das, Frau Hoppermann?
Hoppermann: Ich habe ein ganz grundsätzliches Problem mit unserem Haushaltssystem. Wir messen den Erfolg des Bundeshaushalts daran, wie viel Geld ausgegeben wurde, nicht daran, was wir damit erreicht haben. Das führt zu einem großen Ausgabenproblem, das ich gern anpacken würde, bevor wir über Einnahmenerhöhungen diskutieren. Ich halte daran fest, was ich auch im Wahlkampf gesagt habe: Wir haben kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenpro-
blem. Die Erhöhung des Spitzensteuersatzes würde vor allem den Mittelstand belasten.
Alsleben: Da stimme ich zu. Die Antwort, die Ihr Fraktionsvorsitzender Jens Spahn angedeutet hat, ist aus meiner Sicht allerdings die falsche. Es geht nicht darum, hohe Vermögen stärker zu besteuern. Wir freuen uns über jeden, der mit hohem Vermögen in Deutschland ist, denn so wird Wertschöpfung erreicht. Wir haben ein Problem am unteren Ende der Wohlstandsskala: Geringverdiener zahlen wenig Steuern, aber haben wegen der hohen Sozialabgaben trotzdem zu wenig netto. Die hohen Sozialbeiträge dürfen nicht noch mehr steigen, die müssen sinken.
„Wenn es ein Herbst der
,Reförmchen‘ wird, werden wir eine dramatische Entwicklung in Deutschland erleben.“Thorsten W. Alsleben
Hoppermann: Ich werde Steuererhöhungen nicht zustimmen. Und ich würde gern das System modernisieren, wie wir mit dem Geld umgehen. Jede Frittenbude bilanziert mehr in ihrer Einnahmenüberschussrechnung als der Deutsche Bundestag. Das System der Steuerung über Einzeltitel ohne Erfolgsmessung über Milliarden führt zu ineffizienten Auszahlungen. Wir müssen über Wirksamkeit steuern und Ziele und Kennzahlen festlegen. Das gibt es alles nicht. So können wir auf Bundesebene nicht weiter mit 500 Milliarden umgehen.
Alsleben: Ich finde diesen Ansatz, stärker auf die Wirksamkeit von Maßnahmen zu gucken, sehr gut. Wir geben Milliarden an die Kommunen und an die Länder, ohne jede Kontrolle. Es gibt keine Vorgaben, wofür das ausgegeben wird, keine Evaluation. Auch beim Bürokratieabbau: Warum machen wir nicht eine Vorgabe für jeden Beamten, Referatsleiter und Minister, einen bestimmten Anteil an Bürokratie abzuschaffen? Es sollte öffentlich debattiert werden, ob Ziele erreicht wurden.
Hoppermann: Diese Vorgabe haben wir verabredet, und die soll auch kommen. Sie stellen zu Recht die Frage, wie wir das auf der Strecke messen. Es gibt kein parlamentarisches Verfahren dafür, es sei denn, wir setzen es per Selbstbefassung auf die Agenda. In Bundesländern wie Hamburg gibt es Quartalsbrichte und Halbjahresberichte, in denen Ziele und Kennzahlen dargestellt werden. Das gewährleistet vernünftige Debatten über Ergebnisse, das brauchen wir auch im Bund.
Standpunkte: Lassen Sie uns das Thema wechseln. Sie beschäftigen sich im Bundestag auch mit der Aufarbeitung der Coronapandemie, Frau Hoppermann. Glauben Sie, dass sich aus dieser Zeit Erkenntnisse für den Bürokratieabbau und die Staatsreform ableiten lassen?
Hoppermann: Aus der Pandemie als Krisensituation, in der es vor allem auf Geschwindigkeit von Entscheidungen ankommt, generell zur Staatsreform zu kommen, greift zu kurz. Wir müssen uns in unserer Enquetekommission aber angucken, welche Rolle die Parlamente in dieser Zeit hatten und wie die legislativen Strukturen gegriffen haben. Ich glaube ehrlich gesagt, dass es da Defizite gab. Wir haben mit Absicht im Normalfall Gewaltenteilung und demokratische Strukturen, die nicht auf Geschwindigkeit ausgerichtet sind, sondern auf breiten Konsens und Sicherstellung von Beteiligung. Trotzdem müssen wir für Krisenfälle gut funktionierende Strukturen haben und uns fragen, wie wir daraus eine Blaupause bauen können.
„Die Erhöhung des Spitzen-
steuersatzes würde vor allem den Mittelstand belasten.“Franziska Hoppermann MdB
Alsleben: Ich war immer eher ein Kritiker der Corona-Politik. Wir hielten in der Wirtschaft viele Einschränkungen für zu weitgehend, es konnte nicht belegt werden, dass sie wirksam waren. Im Nachhinein muss man ja sagen, dass die Kritik daran größtenteils berechtigt war. Das Parlament hat der Exekutive sehr viel Entscheidungsmacht gegeben, ohne eine Einwirkungsmöglichkeit zu behalten. Man müsste das umdrehen. Die Zeiträume, in denen Blankoschecks ausgeteilt werden, müssen viel knapper sein.
Hoppermann: Ich würde nicht sagen, alles war nicht berechtigt und hat nichts gebracht. Bei den Schulschließungen denke ich, dass man sich den Zeitstrahl und den Wissensstand genau angucken muss. Am Anfang war nicht klar, wen das Virus am härtesten trifft. Die Dauer des Homeschoolings in den späteren Wellen war zu lang, das teile ich. Meine Bitte ist, sich bei der Rückschau generell den Zeitstrahl, den Wissensstand und die jeweilige Beteiligung an den Entscheidungsfindungen anzugucken.
Standpunkte: Wagen Sie zum Schluss eine Prognose? Was wird in einem halben Jahr bis zum nächsten Herbst in Sachen Wirtschaftswende und Bürokratieabbau passiert und geregelt sein?
Hoppermann: Ich habe keine Glaskugel. Aber ich glaube, dass wir bis dahin einen ganz großen Schritt weitergekommen sein werden bei der Staatsmodernisierung und der Digitalisierung. Die digitale Modernisierung des Staates ist ein entscheidender Wirtschaftsfaktor. Wie schnell kann ich in Deutschland gründen? Wie oft muss ich zum Amt? Das ist entscheidend für die Attraktivität als Standort. Ich hoffe, dass wir es auch darüber schaffen, für Wachstum zu sorgen.
Alsleben: Ich glaube auch, dass der stärkste Teil des Koalitionsvertrags der konkret vereinbarte Bürokratieabbau ist. Und da gibt es eine Chance, dass das gelingen kann. Der neue Digitalminister führt gute Gespräche und treibt Projekte voran, das könnte einen gewissen Aufbruch erzeugen. In allen anderen Punkten bin ich sehr skeptisch. Wenn es nicht gelingt, die guten Punkte des Koalitionsvertrags jetzt umzusetzen und die schlechten zu verhindern oder hinauszuzögern und es stattdessen ein Herbst der „Reförmchen“ wird, dann werden wir eine dramatische Entwicklung in Deutschland schon im nächsten Jahr erleben – eine Deindustrialisierung, die das Land noch nicht gesehen hat.
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